Montag, 9. Dezember 2013

Sonderformen der Erzählhaltung Teil 3: Der Watson Charakter



…oder: Wer ist hier die Hauptfigur?


Wenn ein Autor sich für die Erzählhaltung des Ich-Erzählers entscheidet, dann wohl hauptsächlich, weil er eine faszinierende und starke Hauptfigur hat, die ihre Geschichte dem Leser aus ihrem eigenen Munde erzählen soll.

In den meisten Fällen wählt man also seinen Protagonisten zum Ich-Erzähler. 
Doch es gibt Ausnahmen. 
In der Erzählhaltung des „First Person Periphal Narrators“ ist der Erzähler ein Charakter in der Geschichte, der nur Zeuge der Handlung ist und die Aktivitäten der Hauptfigur dem Leser berichtet. Dabei kann dieser „Periphal Narrator“ entscheidenden Anteil an dem Verlauf der Handlung haben und bei jeder Action mit dabei sein, ja sogar den Antagonisten im Kampf besiegen, aber er ist dennoch nicht die Hauptfigur.
Ein berühmtes Beispiel für diesen Erzählertyp ist F. Scott Fitzgerald’s Der große Gatsby.Die Geschichte von Gatsby wird nämlich durch die Augen von Nick Carraway erzählt.

Als ich letzten Herbst aus dem Osten zurückkam, wünschte ich mir jedenfalls, die ganze Welt wäre noch in Uniform und würde moralisch weiterhin strammstehen; ich wollte keine zügellosen Exkurse und allzu vertraulichen Einblicke in das menschliche Herz mehr. Nur Gatsby, der Mann, der diesem Buch den Namen gibt, war davon ausgenommen – ausgerechnet Gatsby, der alles repräsentierte, was ich ehrlich verachte.“


Als “Periphal Narrator” beobachtet Nick die Vorkommnisse, nimmt Teil an den Partys und reagiert auf die Handlung von welcher er ein Teil ist, aber das Hauptaugenmerk ist und bleibt die ganze Zeit bei Gatsby.
Es sind Gatsbys Lieben und Leidenschaften, denen wir folgen. Von Nick erfahren wir nur wenig.
Links: Toby Mcguire als Nick Carraway; Rechts: Leonardo DiCaprio als der Große Gatsby.


Während der Periphal Narrator also nicht selbst der Fokus der Handlung ist, ist er dennoch der Fokus der Erzählung, denn seine Beobachtungen und die Interpretation dieser spielen eine bedeutende Rolle in der Entfaltung der Geschichte. Dabei muss er aber mehr tun, als nur objektiv (oder subjektiv) zu berichten. Sonst wäre er ja ein objektive Narrator und man könnte die Figur weglassen. Die Figur des peripheren Ich-Erzählers sollte durch die Ereignisse, die sie beobachtet, eine Wandlung durchmachen und am Ende ein Fazit (moralischer Art) ziehen. Seine Beschreibungen und Gedanken während der Geschichte müssen diese Wandlung widerspiegeln.
Es sind die Leidenschaften Gatsbys, aber auf Nick üben sie eine große Wirkung aus.

Der Periphere Erzähler wird auch “Watson-Charakter” genannt.
Benannt nach niemand anderem als Dr Watson, dem Gefährten des berühmten Detektivs Sherlock Holmes.
Sir Arthur Conan Doyle hat sich nämlich als einer der ersten dieses Tricks bedient und seine Detektivgeschichten nicht durch die Augen seiner Meisterdetektivfigur, sondern durch dessen Sidekick und Freund Dr Watson beschrieben.
Und Deiner Einer könnte sich zu Recht fragen, warum Doyle nicht einfach Sherlock selbst hat seine Fälle berichten lassen. Das könnte doch wohl niemand besser als er, oder?
Nun, Sherlock - wenn auch unbestreitbar die Hauptfigur - eignet sich aus vielen Gründen leider nicht zum Erzähler: er ist hochintelligent aber arrogant; er ist von sich selbst eingenommen, emotional kalt und weigert sich oft, sein Wissen mit Außenstehenden zu teilen, da diese ihm zu langsam denken. Für den Leser könnte es schwierig sein – und ermüdend - den komplizierten Hirnwindungen des Sherlock Holmes zu folgen, während dieser gleichzeitig ein Dutzend verschiedener Theorien in seinem Kopfe wälzt und wieder verwirft … Kurz: Sherlock wäre ein mieser Erzähler.
Sein Freund Watson dagegen berichtet amüsant und emotional, befindet sich auf Augenhöhe mit dem Leser und hält auch nicht mit Kommentaren über Sherlocks Eigenarten hinter dem Berg:


„Ich werde Ihnen nicht viel mehr über den Fall erzählen; Doktor (Watson). Sie wissen schon: Ein Zauberer bekommt keinen Applaus mehr, wenn er erst seinen Trick verraten hat; und wenn ich Ihnen zu viel von meiner Arbeitsmethode zeige, werden Sie zu dem Schluß kommen, dass ich schließlich doch ein ganz gewöhnliches Individuum bin.“
„Zu diesem Schluß werde ich niemals kommen“, sagte ich. „Sie haben die Detektion einer exakten Wissenschaft so weit angenähert, dass man Sie in dieser Welt nicht mehr übertreffen wird.“
Mein Gefährte errötete vor Freude ob meiner Worte und der ernsthaften Art, in der ich sie vorbrachte. Ich hatte bereits festgestellt, dass er für Schmeicheleien über seine Kunst so empfänglich war, wie nur je ein Mädchen, wenn es um ihre Schönheit geht.

Nicht immer ist es also angebracht, in die Gedankenwelten der Hauptfigur einzutauchen, und sei sie noch so faszinierend.
Außer den oben genannten Gründen kann es dafür noch folgende geben:

  1. Die Hauptfigur soll am Ende der Geschichte sterben.
  2. Der Autor möchte, dass der Leser sich wundert, was die Hauptfigur eigentlich denkt/ vorhat, oder die Hauptfigur hat ein Geheimnis, dass dem Leser noch nicht bekannt sein darf.
  3. Die Hauptfigur versteht selber nicht, was um sie herum geschieht, aber der Autor will, dass der Leser eine klare Vorstellung davon hat.
  4. Die Hauptfigur macht keine bedeutende Wandlung durch. Tatsächlich hat die Handlung einen größeren Einfluss auf den Beobachter.
  5. Die Hauptfigur hat (Superhelden-)Fähigkeiten, die nicht von seiner eigenen Perspektive aus dargestellt werden können, ohne angeberisch zu wirken (anstatt cool).
  6. Der Autor stellt fest, dass die Leser sich nur schwer mit der Hauptfigur würden identifizieren können, mit einer der Nebenfiguren aber schon.
Und im Falle von Sherlock hat diese Konstellation mit Watson als Erzähler auch noch den schönen Vorteil, dass der Meisterdetektiv (wie es sich für einen klassischen Krimi gehört) am Ende alle Verdächtigen sowie die Detectives von Scotland Yard  in einem Raum um sich versammeln kann, um genüsslich Schritt für Schritt preisgeben zu können, wie schlau er eigentlich diesen Fall gelöst hat.
Dr Watson inklusive, der genau wie der Leser noch immer auf dem Schlauch steht.


Und nun, Gentleman“, fuhr er mit einem munteren Lächeln fort, “sind wir am Ende unseres kleinen Rätsels. Sie dürfen mir jetzt gern alle Fragen stellen, die mir zu stellen Sie wünschen, und es besteht keine Gefahr mehr, dass ich mich etwa weigern könnte, sie zu beantworten.“

- Sherlock Holmes in „Eine Studie in Scharlachrot“
 

Freitag, 22. November 2013

Sonderformen in der Erzählhaltung: Teil II Rahmenhandlungen



...oder die Geschichte in der Geschichte.


 Es gibt noch eine andere Form, die einen Wechsel des Erzählers erlaubt und zwar die sogenannte Rahmenhandlung
Eine Rahmenhandlung bedeutet, dass die eigentliche Geschichte in eine andere Geschichte eingebettet ist, die der Haupterzählung vorangestellt wird und zu der sie am Ende meist zurückkehrt.



Der Roman beginnt mit einem Brief eines Captain Walton an seine Schwester Mrs Saville. In diesem berichtet er (als Ich-Erzähler natürlich) wie ein Mann namens Frankenstein Passagier auf seinem Schiff gewesen sei, und ihm in langen Nächten eine erstaunliche Beichte abgegeben habe. Diese Unterredungen mit seinem Passagier will der Captain nun im folgenden so wortgetreu wie möglich nieder schreiben.

Er (Frankenstein) fügte noch hinzu, dass er mit seiner Erzählung am nächstfolgenden Tage beginnen wolle, sobald ich genug Muße hätte, ihr zu lauschen. Solche Versprechung erfüllte mich mit den wärmsten Dankgefühlen, und ich habe mir vorgenommen, jede Nacht, wenn meine Pflichten mich nicht allzu gebieterisch in Anspruch nehmen, darauf zu verwenden, möglichst wortgetreu aufzuzeichnen, was der Fremde mir tagsüber berichtet hat. Sollte ich ab und zu verhindert sein, so will ich mir zumindest Notizen machen. Dir, teuerste Schwester, werden diese Aufzeichnungen unzweifelhaft das größte Vergnügen bereiten. Mit welcher Anteilnahme werde aber erst ich, der ich all das von des Erzählers Lippen vernehme, eines fernen Tages in diesen Blättern lesen!

Auf den Brief folgt das erste Kapitel, das übergangslos mit den Worten beginnt: “Gebürtig bin ich aus Genf, und zwar entstamme ich einem der vornehmsten Geschlechter dieser calvinistischen Republik.“
Hier hat also ein Wechsel des Ich-Erzählers stattgefunden, denn hier spricht nun Dr Frankenstein, nicht mehr der Captain (auch wenn dieser es ist, der die Worte dokumentiert.)
Hier wechseln sich also zwei Ich-Erzähler ab.
Die Mitte des Romanes besteht aus der Erzählung des Dr Frankenstein und wie dieser sein Monster erschuf. Erst ganz am Schluss kehrt der Leser in die „Gegenwart“ auf das Schiff von Captain Walton zurück. Und hier werden dann Rahmenhandlung und Binnenhandlung zusammengeführt, als das Monster auf dem Schiff erscheint und der Captain ihm persönlich begegnet.


150 Jahre später verwendete eine moderne Schauerromanautorin eine ähnliche Rahmentechnik für ihre raffinierte Geschichte: In "Gespräch mit einem Vampir“ beschreibt ein limited omniscient Narrator wie ein Journalist, der zunächst nur als „Junge“ bezeichnet wird, einen gewissen Louis interviewt. Dieser Louis behauptet von sich, er sei ein Vampir und berichtet wie er zu einem wurde. Die ganze Mitte des Romanes ist aus der Sicht des Vampirs als Ich-Erzähler, doch der Interviewer unterbricht regelmäßig mit Fragen und erinnert den Leser daran, in was für einer Erzählsituation er sich befindet. Am Ende dann ist der Interviewer so fasziniert (und überzeugt) von der Geschichte, dass er von dem Vampir fordert, ebenfalls zu einem Unsterblichen gemacht zu werden.
Das Besondere an dieser Erzählhaltung ist, dass es keine klare Abtrennung zwischen der Rahmenhandlung und der Binnenhandlung gibt, die immer wieder von Zwischenrufen unterbrochen wird, sondern sich Omniscient und First Person Narrator reibungslos miteinander abwechseln.


In „Die Brautprinzessin: S. Morgensterns klassische Erzählung von wahrer Liebe und edlen Abenteuern" von William Goldman werden beide Techniken miteinander verknüpft. Einerseits liest ein Vater seinem kranken Sohn eine fantastische Geschichte aus einem Buch vor – immer mal wieder unterbrochen von den Fragen seines Sohnes (oder den Kommentaren des Verfassers). Andererseits wird in einer Rahmenhandlung erzählt, wie William Goldman dazu kam, sich inmitten einer Drehbuchkonferenz in L.A. auf die Suche nach S. Morgensterns klassischer Erzählung von wahrer Liebe und edlen Abenteuern zu machen und warum er sich letztendlich dazu entschieden hat, eine Neufassung herauszubringen (und dafür ein lukratives Drehbuchgeschäft platzen lässt.)
(Diese Rahmenhandlung wurde in der gleichnamigen Verfilmung weggelassen, dort besteht die Rahmenhandlung nur aus dem Vorlesen des Buches.)
Man könnte also sagen, dass es sich bei der „Brautprinzessin“ um eine Rahmenhandlung in der Rahmenhandlung handelt.


Geht das?
Aber klar!

Rahmenerzählungen mit mehrfachem Rahmen werden auch Schachtelerzählungen genannt.
Dabei ist der Anzahl der Rahmen im Prinzip keine Grenze gesetzt.


Ein Beispiel für sehr viele ineinander verschachtelte Geschichten findet sich bei „Tausendundeinernacht“: Es ist die Erzählung über die Wesirstochter Scheherazade, die dem König jede Nacht eine spannende Geschichte erzählt, um so ihre eigene Hinrichtung aufzuschieben. Dabei enthalten ihre Geschichten manchmal Geschichten in der Geschichte.


In einer Rahmenhandlung kann also ein omniscient overt Narrator zurücktreten und seine Figur (als Ich-Erzähler) sprechen lassen, oder ein Ich-Erzähler einem anderen das Wort reichen oder sich verschiedene Erzähler abwechseln … wenn es dafür eine gute Begründung gibt.

Wie wärs denn mal damit? Das Literaturkaninchen wünscht viel Spaß beim Schreiben eurer eigenen Schachtelgeschichte.

Sonderformen in der Erzählhaltung Teil I: Die Collage
Sonderformen der Erzählhaltung Teil III: Der Watson Charakter

Sonntag, 27. Oktober 2013

Sonderformen der Erzählhaltung: Die Collage




Bildquelle: nancystandlee.blogspot.com

Eigentlich wollte ich ja nicht mehr über Erzählhaltungen sprechen, aber einen kleinen Nachschlag habe ich noch, in meiner Kurzreihe über
Sonderformen in der Erzählhaltung: Teil I Collagen


Wenn man also einmal eine Erzählhaltung für seine Geschichte gewählt und den Erzähler festgelegt hat, dann sollte man diesen die ganze Geschichte durch beibehalten? Ein Wechsel ist also nie und unter keinen Umständen möglich?
Doch, denn es gibt ein paar Sonderformen.

Zum Beispiel die Collage, die komplett ohne Erzähler auskommt.

Ja, genau, Deiner Einer hat richtig gehört.
Eine Geschichte ohne Erzähler.
Wie geht das?
Eine Collage besteht aus einer unkommentierten Aneinanderreihung von Schriftstücken, wie z.B. Tagebucheinträgen, Briefen oder Zeitungsberichten. Jeder Brief, jeder einzelne Tagebucheintrag an sich hat natürlich einen Erzähler (nämlich der Verfasser des Briefes/ Tagebuchs). Wenn sich aber nun mehrere Briefeschreiber miteinander abwechseln, ein Zeitungsbericht folgt und daraufhin wieder ein Interview oder ein Ausschnitt aus einem privaten Notizbuch, so hat man es mit einer Collage zu tun. Die einzelnen Abschnitte stammen von verschiedenen Verfassern, die sich untereinander nicht einmal kennen müssen. Jeder Textteil hat eine eigene Handlung und die Zusammenhänge ergeben sich erst nach und nach, genau wie bei einer Bildcollage, bei der die einzelnen Bestandteile alle für sich ein Bild sind, aber man muss einen Schritt zurück treten um zu erkennen, dass diese zusammengenommen ein ganz anderes Bild ergeben.
Wie bei dem Bild der Frau da oben.


Berühmtestes Beispiel für ein Buch in dieser Art ist Bram Stokers „Dracula“, das ausschließlich aus Tagebucheinträgen Jonathan Harkers, Briefen von Mina, Lucy, Jonathan u.a., Telegrammen, Logbüchern eines Schiffes, Zeitungsberichten, sowie phonographischer Mitschriften Dr Sewards besteht. Die werden kommentarlos – wenn auch chronologisch - aneinander gereiht und die Figuren kennen sich untereinander und begegnen einander. Dennoch gibt es keinen übergeordneten Erzähler, der in diese Briefesammlung einführt mit den Worten: “Ich habe diese Briefe und Dokumente in einer verschlossenen Kiste auf meinem Dachboden gefunden“ o.ä. wie man es vielleicht erwarten würde. Nein, der Leser wird mit dieser Aneinanderreihung ganz ohne Einführung konfrontiert. Erst in einem Schlusswort erfährt der Leser, dass Jonathan Harker diese „Loseblattsammlung“ zusammengetragen hat, damit sein Sohn eines Tages die Wahrheit erfahre. Doch Jonathan kommentiert und wertet die einzelnen Dokumente nicht, deshalben ist er ergo auch kein „Erzähler“.
Nicht einmal ein versteckter.


Dracula“ ist eine sehr raffinierte Erweiterung des Briefromanes, welcher zu der Zeit als es geschrieben wurde recht populär war. Diese Form des Erzählens mutet uns heutzutage verstaubt und umständlich an. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass zu jener Zeit das Briefeschreiben gang und gäbe war und dass es häufig die einzige Möglichkeit war, um vom Leben entfernter Verwandter zu erfahren. Die Menschen damals waren es auch gewohnt, Briefe als einzige Quelle ihrer Söhne von der Kriegsfront zu lesen, sowie Berichte von Reisenden in ferne exotische Länder in den Zeitungen.
Leser waren an diese Textarten also gewöhnt und Bram Stoker wusste diese Form hervorragend zu nutzen um ein Gefühl von Authentizität zu erzeugen, das entscheident war für den Gruselfaktor seines Romanes. Heutzutage würde man das genauso machen, denn spätestens seit dem authentisch gestalteten Horrorfilm „Blair Witch Project“ sind verwackelte Handkameras und „Dokumentary- Stile“ aus der Fernsehwelt nicht mehr wegzudenken.


So verstaubt ist das alles also gar nicht und auch moderne Autoren wissen diese Textform der Collage klug zu nutzen. 
So z.B. Das Haus / House of Leaves von Mark Z. Danielewski.

„Das Haus“ ist eine geniale Collage aus Versatzstücken verschiedener Texte, von Tagebüchern, wissenschaftlichen Abhandlungen, Essays, Briefen, Fotos, Videomitschnitten, Telefonaten. Sogar Videos gehören hier zur Handlung, der Film „Der Navidson Record“ ist sogar der Kern der Geschichte. 
Na gut, den Film gibt es nicht wirklich. Fallt nicht darauf rein. Und begeht NIEMALS den Fehler im Internet danach zu suchen.
Aber theoretisch ist der „Fünfeinhalb-Minuten-Flur“ als dokumentarisches Videomaterial existent und deswegen auch so erschreckend.


In heutigen Medien wie dem Ebook, könnte man diese Ideen sogar noch weiterspinnen, denn man ist ja technisch nicht mehr an reinen geschriebenen Text gebunden und ein Buch wie „The House of Leaves“ hätte in digitaler Form mehr verdient, als ein bloßes PDF als Abdruck der Printausgabe. Und die hat es ja schon in sich, mit ihrer verrückten Typographie und den ungewöhnlich gestalteten Seiten, die also auch optisch wie eine Collage daher kommen.




Ausschnitt aus "Das Haus" von Mark Z. Danielewski

Wer weiß, vielleicht werden die Ebooks der Zukunft ja wirklich abspielbare Videos, Tonmaterial, Animationen und interaktive Elemente enthalten?
Das könnte eine Renaissance der Erzählcollagen bedeuten – ganz ohne Erzähler.
Das wäre ja vielleicht spannendes Neuland für Deiner Einer? Auf jeden Fall eine kreative Herausforderung für jeden Autoren.


Beim nächsten Mal schauen wir uns noch eine andere Sonderform an : Teil II Die Rahmenhandlung.

Montag, 16. September 2013

Wie wähle ich die richtige Erzählhaltung?



Schwierige Frage.

Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass es kein Falsch oder Richtig in dieser Frage gibt. Jede dieser Erzählhaltungen hat ihre Stärken, aber man sollte sich auch ihrer Einschränkungen bewusst sein. Wenn du die Übungen mitgemacht hast, wirst du gemerkt haben, was für einen riesen Einfluß die Erzählhaltungen auf Tonfall und Stil hat. Nun muss der Autor nur noch wählen, welcher Tonfall am besten zu seiner Geschichte passt und er sollte sich fragen, welche Wirkung er beim Leser erzielen will.
Manchmal kann es nötig sein, einen Absatz oder eine Szene in einer anderen Erzählhaltung umzuschreiben und zu vergleichen. Was gewinnt, was verliert die Szene dabei?
Auch sollte man überlegen, ob es Szenen gibt, die aus einer bestimmten Perspektive heraus schwer oder zumindest problematisch zu beschreiben sein werden, ob es Informationen gibt, die nur auf einem bestimmten Wege eingeflochten werden können, oder ob es nötig ist, dem Leser etwas zu verschweigen und deswegen z.B. ein omniscient Narrator Probleme machen könnte.
Wer sich einmal für eine Erzählhaltung entschieden hat, muss diese das ganze Manuskript hindurch konsequent durchhalten und darf diese nicht ändern.
Das wäre ein Perspektivbruch.
Etwas anderes ist es, die Erzählperspektive zu ändern.

Wohlgemerkt: Erzählhaltung und Erzählperspektive sind nicht dasselbe!
Die Erzählhaltung setzt fest, wer der Erzähler der Geschichte ist.
Die Erzählperspektive benennt den jeweiligen Perspektivträger, sprich eine Figur (häufig der Protagonist). Der Perspektivträger kann wechseln. So kann ein Kapitel aus der Sicht des Mörders, ein anderes aus der Sicht des Detektivs geschrieben sein; beides aber wäre in der Erzählhaltung eines Third Person Narrators.
Der Autor muss sich also zunächst Gedanken über seinen Erzähler machen und in zweiter Instanz dann darüber, welche Figur am besten geeignet ist, die jeweilige Szene oder das jeweilige Kapitel zu erzählen und ob er überhaupt verschiedene Perspektivträger haben will.
Es gilt also viele Entscheidungen zu treffen.


Der Autor hat die Qual der Wahl.
Jedoch bevorzugen die meisten Autoren eine bestimmte Erzählhaltung, sei es aus Gewohnheit oder weil sie auch selber gerne Romane in dieser Erzählhaltung lesen.
Ich ermuntere aber dazu, einmal etwas Neues auszuprobieren.
Vielleicht stellt Deiner Einer ja überraschenderweise fest, dass ihm der Omniscient Overt Narrator liegt, obwohl er normalerweise in Third Person objective schreibt und liest.
Desweiteren ermuntere ich dazu, in einem breiten Spektrum zu lesen und sich von den vielen Möglichkeiten und Wegen, die andere Autoren gegangen sind, inspirieren zu lassen.


Es gibt komplizierte Geschichten, die eine einfache Erzählhaltung erfordern und es gibt einfache Geschichten, die durch eine komplizierte Erzählhaltung an Glanz gewinnen. Bestimmte Genres fordern bestimmte Erzählhaltungen (und manche Verlage auch).
Warum aber nicht gerade deswegen einmal versuchen, etwas zu schreiben, dass diese Konvention durchbricht?
Vielleicht könnte genau das – die Wahl einer ungewöhnlichen Erzählhaltung – das sein, was dein Manuskript von all den anderen unterscheidet, die ebenfalls in deinem Genre veröffentlichen wollen.
Vorausgesetzt, Deiner Einer hat sich genügend mit den Erzählhaltungen vertraut gemacht und weiß, was er tut.

  

Noch Fragen?


Hier geht es noch einmal zu allen Erzählhaltungen:











Samstag, 31. August 2013

Teil 9: Metafiktion


Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 9




Hier sind wir also nun, im liiiiiebsten Abschnitt vom Literaturkaninchen angelangt.
Willkommen in der Metafiktion.

Metafiktion ist eine Art der Fiktion in der Literatur, bei der ein Werk seinen eigenen fiktionalen Charakter bewusst thematisiert. Damit steht sie im Gegensatz zu Werken, die versuchen, den Leser die Fiktionalität des Werkes vergessen zu machen. Metafiktion lässt sich also als Literatur begreifen, die von Literatur handelt. Sie beinhaltet gewöhnlich Ironie und ist selbstreflektierend. (Wikipedia)
Für uns hier interessiert im Moment nur ein bestimmter Aspekt der Metafiktion und zwar der Spezialfall eines Romanes, in dem der Autor Erzähler und Figur seines eigenen Werkes ist.
Wie jetzt?
Das Literaturkaninchen hat doch gesagt, dass der Autor niemals derjenige ist, der die Geschichte erzählt, sondern eingeschärft es gäbe immer einen Erzähler und außerdem … wenn der Autor auch die Figur ist, dann schreibt er über sich selbst, ergo schreibt er eine Autobiographie.
Ja, schon.
Das stimmt zwar alles, was Deiner Einer da einwedet (und Hey! Gut aufgepasst!). Aber wenn der Autor nun eine fiktive Autobiographie schreibt? Sich einen anderen Namen gibt? Und auch sonst ziemlich frech ist?


Lieber Leser,
es tut mir sehr leid, aber das Buch, das du gerade in den Händen hälst, ist außerordentlich unerfreulich. Es erzählt die traurige Geschichte von drei sehr bedauernswerten Kindern. Die drei sind klug, charmant und einfallsreich, aber das nützt ihnen gar nichts. Im Gegenteil: Gleich zu Beginn dieses Buches erhalten die Kinder eine schreckliche Nachricht, und auch alles, was ihnen danach passiert, strotzt nur so vor Unheil, Elend und Verzweiflung. Allein in diesem dünnen Buch müssen die drei mit einem widerwärtigen Bösewicht, hässlicher, kratzender Kleidung, einem schrecklichen Feuer und klumpigem Haferbrei zum Frühstück fertig werden. Es ist meine traurige Pflicht, all diese unerfreulichen Dinge niederzuschreiben, aber es ist noch nicht zu spät für dich: Du kannst dieses Buch sofort wieder ins Regal zurückstellen und stattdessen etwas Erfreuliches lesen, wenn dir das lieber ist.
Hochachtungsvoll
Lemony Snicket“

Und da es nicht nur Lemony Snickets traurige Pflicht ist, alles niederzuschreiben, sondern auch zu recherchieren und er bei seinen Recherchen  im Laufe des Buches den drei Kindern auf den Fersen ist und ihnen immer nur um Haaresbreite nicht begegnet, ist Mr Snicket nicht nur Autor und Erzähler, sondern auch eine Figur in seinem Roman.
Natürlich ist „Lemony Snicket“ ein Pseudonym und es wurde viel Getue um die Geheimhaltung des wahren Namens des Autors der „Reihe betrüblicher Ereignisse“ gemacht, so sehr, dass der Autor zu Lesungen nicht erschienen ist, sondern sich von seinem Assistenten Daniel Handler vertreten lassen musste. 
 

Alcatraz Smedry hatte ich euch ja schon vorgestellt.
Erinnert ihr euch?Dies ist meine Geschichte – die Geschichte eines egoistischen, verachtenswerten Idioten. Die Geschichte eines Feiglings.“ So sagt Alcatraz Smedry über sich selbst im Vorwort von „Alcatraz und die dunkle Bibliothek“. Geschrieben von Brandon Sanderson. 
Ich hatte euch den jungen Mann als „First Person Omniscient“ vorgestellt und diese Definition stimmt auch. Aber dieser Roman verschiebt sich ein paar Zeilen weiter in den Fachbereich Metafiktion, mit den Worten: 

„[…] In den Ländern des Schweigens – also den von Bibliothekaren kontrollierten Nationen wie den Vereinigten Staaten, Kanada und England – soll das Buch als Fantasyroman veröffentlicht werden. Lasst euch nicht täuschen! Dies ist keine Fiktion, und mein wirklicher Name ist auch nicht Brandon Sanderson. Beides dient als Tarnung, um das Buch vor Agenten der Bibliothekare zu verbergen.“

Mit der Behauptung „Brandon Sanderson“ sei ein Pseudonym und der wahre Name des Autors der Name der Figur, beginnt ein kleines Verwirrspiel, das die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verwischt.

Dies ist aber mehr, als nur eine lustige Spielerei, mit der man mehr Witz und Ironie in seine Geschichte bringen kann. Es ist auch die konsequente Weiterführung meiner Regenbogen-Skala der Erzählhaltungen. 
Denn wenn man sich die beiden Endpunkte der Skala anschaut, so sieht man, dass sie sich an der extremsten Ausprägung zur Subjektivität befinden: Der „First Person Omniscient“ ist ein Ich-Erzähler, der seine eigene Geschichte aus seiner sehr subjektiven Sicht erzählt – und der „Omniscient Overt Narrator“, ebenfalls ein „Ich“, der anstatt über sich über Ereignisse berichtet, bei denen er nicht zwangsläufig dabei war. Doch sind diese beiden Erzählhaltungen sich bisweilen recht ähnlich, nämlich immer dann, wenn der „First Person Omniscient“ etwas über andere Personen erzählt oder der „Omniscient overt“ sich zu einem Teil der Handlung macht. Es gibt Texte, die nicht klar einzuordnen sind, sondern sich passagenweise im Bereich zwischen beiden bewegen. 
Konsequent zu Ende gedacht, liegt am Ende der Skala ein Autor, der sich selbst zum Helden seiner Geschichte macht. Dieser Autor braucht kein Pseudonym und er erfindet auch keine Figur:



Bret Easton Ellis: Lunar Park: Roman

„Du siehst dir verblüffend ähnlich“
So lautet der erste Satz von Lunar Park, der in seiner Kürze und Einfachheit eine Rückkehr zur Form, ein Echo auf die erste Zeile meines Debütromans Unter Null darstellen soll.
„Auf den Freeways in Los Angeles werden die Leute auch immer rücksichtsloser.“
Von da an wurden die ersten Sätze meiner Romane, mochten sie noch so geschickt konstruiert sein, immer komplizierter und verschachtelter, überfrachtet mit der sperrigen, überflüssigen Aufzählung von Nebensächlichkeiten. […]
Wie jeder, der den Gang meiner Karriere verfolgt hat, unschwer erkennen kann – falls Literatur tatsächlich zwangsläufig das Innenleben des Schriftstellers bloßlegt -, liefen die Dinge wohl etwas aus dem Ruder und bekamen fatale Ähnlichkeit mit dem, was die New York Times als „mittlerweile kompliziert bis zur Skurrilität … aufgebläht und banal … überdreht“ bezeichnet hatte, und dem mochte ich nicht unbedingt widersprechen. Ich wollte zurück zu den Wurzeln, und obwohl ich hoffte, dass ein schlanker Satz –„Du siehst dir verblüffend ähnlich“ – diesen Prozess in die Wege leiten würde, war mir doch bewusst, dass mehr als eine Aneinanderreihung von Wörtern nötig war, um das Trümmerfeld zu bereinigen, von dem ich mich umgeben sah.
Aber es wäre ein Anfang.“

Eine Autobiographie also? Nun, nur wenn wir die Geschichten auf den nächsten Seiten von Drogen, Alkoholexzessen, Partys mit David Duchovny, mordenden Spielzeugen und in die Realität getretenen Romanfiguren, Glauben schenken wollen. 
In der Fiktion wird eben alles zur Fiktion, selbst der Autor.


Darum fasse sich nun jeder schnell an die Nase, der sich für real hält.


Literaturkaninchens Ringtheorie der Erzählhaltungen




Zusammenfassung: „Metafiktion“ 


- Vermischung von Fiktion und Realität 
- Autor, Erzähler (und manchmal auch die Figur) sind miteinander verschmolzen und erzählen aus der Retrospektive.Der Autor tritt in Erscheinung, benennt sich selbst als Urheber dieser Geschichte und schreibt weiter in der Ich-Form über sich selbst – und nein, ich rede hier nicht von Autobiographien, allerhöchstens von fiktiven Autobiographien, sprich von Käptn Blaubärmäßigem Seemannsgarn, von dem der Autor aber schwört, er hätte das alles erlebt. 
- Spricht Leser direkt an. 
- Zusätzlich wird es für den Leser kompliziert, wenn der Autor sich noch als „unreliable“ Erzähler entpuppt. 
- Ist frei in Zeit und Raum, wenn er erklärt, woher er Kenntnisse über diese Ereignisse hat. 
-Ist nicht an eine Figur gebunden, kann frei von anderen Personen, fiktiven wie nicht fiktiven, berichten wie er will. 
- „Ich“ kann nicht durch „er“ ersetzt werden, der Autor kann aber in den „er“-Modus wechseln und nach Belieben von Figuren erzählen, so viel er lustig ist. 
- Der Autor weiß natürlich, was kommt und kann daher mit Absicht dem Leser Dinge vorenthalten, der Wirkung wegen. 
-„Voice“ der Erzählerfigur  ist hier das A und O. Sie ist sogar so wichtig, dass sie alleiniger Inhalt sein kann. 
- fragmentarisches Erzählen, stream of consciousness, Gedankensprünge, nicht-lineares Erzählen, Träume und Halluzinationen können zu einem Hauptbestandteil der Handlung werden, ohne dass diese dem Leser angekündigt oder gekennzeichnet werden. 
- Fazit: Alles ist erlaubt.



Hausaufgabe:

Nimm dir Schere, Kleber und einen Streifen Tesafilm.

Drucke die Regenbogen-Skala der Erzählhaltung auf deinem Drucker aus.
Rolle sie zusammen, so dass sich der First Person Omniscient“ und der „Omniscient Overt“ in der Metafiktion berühren.
Fixiere das Papier mit einem Streifen Tesa.
Fertig ist deine praktische Ring- Skala der Erzählhaltungen zum Aufstellen!

Freitag, 16. August 2013

Teil 8: Limited Omniscient Narrator


Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 8




Limited Omniscient? Was ist das denn?

Der limited Omniscient Narrator ist ein Allwissender Erzähler, der sein Allwissen nicht in seinem ganzen Potential nutzt.

 Er gibt dem Leser immer nur so viel an die Hand, wie dieser für den Moment wissen muss, d.h. er greift der Handlung niemals vor („Bilbo würde Taten begehen, die ihm niemand zugetraut hätte“) oder wertet („Wawuschels sind sehr liebe Wesen“) wie sein Kollege der Allwissende tun würde, sondern berichtet objektiv als Außenstehender über die Figuren. Dabei nähert er sich also - wie man auf der Skala gut erkennen kann - dem „Objektive Narrator“, der kühl und sachlich berichtet, ohne eigene Meinungen einfließen zu lassen, beinahe wie ein Journalist. Allerdings hat dieser "Journalist" sehr wohl Einblick in Gedanken und Gefühle aller Figuren. Doch er gibt sie dem Leser nur, wenn es ihm in den Kram passt. Häufig limitiert er sich auf einen Einblick in die Hauptfigur obwohl er in alle anderen Figuren schauen könnte
Beispiel:

Der Brief der alles verändern sollte, kam an einem Dienstag. An einem ganz gewöhnlichen Vormittag Mitte April, der nach frisch gewaschener Wäsche und Grasschnitt roch. Harold saß glatt rasiert und im sauberen Hemd mit Krawatte am Frühstückstisch vor seiner Scheibe Toast, die er nicht aß. Er sah aus dem Küchenfenster auf den kurzgeschorenen Rasen hinaus, der an drei Seiten von den blickdichten Bretterzäunen der Nachbarn eingeschlossen war. Mittendrin steckte Maureens Wäschespinne.
„Harold!“, rief Maureen über den Staubsaugerlärm hinweg. „Post!“
Eigentlich wäre er gern hinausgegangen, aber das Einzige, was es draußen zu tun gab, war Rasenmähen, und das hatte er gestern schon erledigt. Der Staubsauger verstummte, und seine Frau erschien mit dem Brief und einem säuerlichen Gesicht. Sie setzte sich Harold gegenüber.
Maureen war eine zierliche Frau mit silbergrauem Bob und flinken Schritten. Als sie sich kennenlernten, war es Harolds größte Freude, sie zum Lachen zu bringen. Zuzusehen, wie sie ihre straffe Haltung verlor und ausgelassen zu zucken begann. „Für dich“, sagte sie. Er wusste nicht, was sie meinte, bis sie einen Umschlag über den Tisch schob und bei seinem Ellbogen liegen ließ. Beide betrachteten ihn, als hätten sie noch nie einen Brief gesehen.
Er war rosa.“


Im allerersten Satz versteckt sich eine kleine Wertung, bzw. ein Ausblick („der Brief, der alles verändern sollte“). Hieran erkennt man sofort einen Omniscient Narrator, denn ein Third Person Erzähler hätte dieses nicht sagen können (die Figur des Harold weiß ja nicht, dass der Brief alles ändern wird). Gefolgt wird der Satz von einer Beschreibung des drinnen und draußen, davon was Harold denkt und sich wünscht, sowie seiner Frau Maureen, die uns allerdings rein äußerlich beschrieben wird. Wir erfahren (hier) nicht, was Maureen denkt, nur dass sie ein säuerliches Gesicht macht. Aus der Sicht eines Third Person Erzählers geschrieben, hätten der Satz lauten müssen: „Er sah Maureen zu ihm in die Küche kommen und bemerkte, dass sie ein säuerlich Gesicht machte“. Ein wenig umständlich, oder?

Der Omniscient Narrator hat es bei Beschreibungen leichter. Er kann wie eine Kamera von außen alles beschreiben, was vor sich geht. Dafür klingt er distanzierter, weswegen viele die Third Person Erzählhaltung vorziehen.

Der Limitierte Omniscient wird häufig mit dem Third Person objective verwechselt.

Denn er hat einen Vorteil: dieser Erzähler kann in eine Third Person Erzählhaltung wechseln (oder zumindest streckenweise so berichten, als würde er personell erzählen, sich quasi in eine Figur „versenken“)- aber nicht umgekehrt.

Der Third Person Erzähler dagegen kann nicht aus der Figur heraustreten und von außen beschreiben.

Eine Third Person Erzählhaltung konsequent durchzuhalten ist daher sehr schwer – hier passieren dem unerfahrenen Autoren die häufigsten Fehler.

Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 8





Noch ein Beispiel:


Lois Duncan:Killing Mr Griffin

„Es war ein stürmischer Frühlingstag, als sie auf die Idee kamen, Mr Griffin zu töten.
Susan McConnell überquerte die Sportanlage in Richtung Schulgebäude. Sie musste sich gegen den Wind stemmen und mit den Händen die Ränder ihrer Brille abschirmen, damit der aufgewirbelte rote Staub ihr nicht in die Augen drang. […] Ich hasse den Frühling, dachte Susan. Ich hasse den Staub und den Wind. Ich wünschte, wir würden irgendwo anders leben. Eines Tages …
Sie benutzte sie oft, diese beiden Worte – eines Tages. […]
Susan drehte sich um und sah David Ruggles auf sich zulaufen. […]
Susan ging neben ihm her und ihre schlechte Laune war auf einmal wie weggeblasen. So schlimm war der Wind letztendlich gar nicht, immerhin hatte er ihr ein Glück beschert, von dem sie niemals zu träumen gewagt hätte – Susan McConnell betrat die Eingangshalle der Del Notre Highschool, Seite an Seite mit dem umwerfend aussehenden, bei allen beliebten David Ruggles, dem Schülersprecher der Oberstufe.
Während der letzten zwölf Monate hatte Susan jede Nacht von David geträumt, zumindest in den Träumen, an die sie sich erinnern konnte.“


Der erste Satz ist wieder eine Vorwegnahme, wie sie nur ein Omniscient Narrator machen darf. Danach folgen Beschreibungen wie sie auch ein Third Person Erzähler tun könnte; bis auf die wertenden Sätze „sie benutzte sie oft, diese beiden Worte – eines Tages …“, „der bei allen beliebte David …“ und „während der letzten Wochen hatte sie jede Nacht von ihm geträumt …“. Hier spricht ein Erzähler, der uns über die Figur informiert. Wenn auch so subtil, dass es sich um die Gedanken der Figur handeln könnte.
Manchmal ist es sehr schwer, einen Third Person Erzähler von einem Limited Omniscient zu unterscheiden.


Hier geschehen die meißten Fehler: der Third Person Erzähler rutscht ins auktoriale und der als auktorial gedachte Erzähler wird personal.

Es bedarf einiger Übung beide voneinander zu unterscheiden und auch sauber durchzuhalten.

(Trick zur Überprüfung: „Er“ kann nicht durch „Ich“ ersetzt werden)





Ein letztes Beispiel:


 Lara Adrian:Gesandte des Zwielichts

„Der Vampir hatte keine Ahnung, dass im Dunkel der Tod auf ihn lauerte. In seiner Gier war er mit allen Sinnen völlig auf die halb nackte Rothaarige in seinen Armen konzentriert, die ihn mit kaum gezügelter Lust betatschte. Zu fiebrig, um zu bemerken, dass sie in seinem Schlafzimmer im Dunklen Hafen nicht allein waren, öffnete er mit einem mentalen Befehl die geschnitzten Türflügel und führte seine willige, keuchende Beute hinein. Die Frau schwankte auf ihren hohen Absätzen, sie entwand sich ihm lachend und drohte mit dem Finger.[…] Er folgte ihr mit bedächtigen Bewegungen, schloss die Tür hinter sich und schlich auf sie zu. […] Außer dem verdeckten bernsteinfarbenen Glühen seiner Augen und dem schwachen Glanz der Sterne auf der anderen Seite der hohen Fenster, die auf das Privatgrundstück des Dunklen Hafens blickten, gab es kein Licht im Raum. Aber als Stammesvampir sah er auch ohne Licht.
Genau wie der andere, der gekommen war, um ihn zu töten.

Aus den Schatten auf der anderen Seite des großen Raumes beobachteten dunkle Augen, wie der Vampir seine Blutwirtin von hinten packte und zur Sache kam. Als die erste kupfrige Duftwolke aus der geöffneten menschlichen Ader drang, schossen die Fänge des Beobachters reflexartig aus seinem Zahnfleisch. Auch er war ausgehungert, mehr, als er zugeben wollte, aber er war zu einem höheren Zweck hierhergekommen, als seine eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Was er wollte, war Rache.“



Achte darauf, wie hier die Perspektive von einer Figur zu der anderen gewechselt wird. (Von dem Stammesvampir zu seinem Beobachter). Das ist kein Perspektivbruch, sondern hier erzählt ein Limitierter Omniscient Narrator über die Figuren. Er kann also die Sichtweise wechseln, nicht aber die Erzählhaltung.

Zusammenfassung: „Limited Omniscient Narrator“

-        Objektiver Erzähler, der über die Figur erzählt.
-        Außenansicht auf die Figur.
-        Hat Einblick in Gedanken oder Gefühle der Figuren,limitiert sich aber.
-        Erzähler versteckt; kommentiert/wertet nicht, darf Leser nicht direkt ansprechen, kein "ich" des
Erzählers
-        Ausschließlich „reliable“ Erzähler
-        Ist frei in Zeit und Raum, kann über Ereignisse berichten, die die Figur nicht erlebt, ist nicht an eine Figur gebunden, limitiert sich aber.
-        „Er“ kann nicht durch „ich“ ersetzt werden
 
Hausaufgabe

Vergleiche Lara Adrian mit Phillip Pullmans „Der GoldeneKompass“.

Sind dir die Unterschiede klar?

Dies ist die letzte der Erzählhaltungen auf unser regenbogenfarbenen Palette. Mit dem limited omniscient Narrator schließt sich der Kreis und du als Autor hast nun das ganze Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung.
Moment mal, Kreis?
Ja, in der Tat!
Wir kommen nun zu dem Punkt, warum Meiner Einer das ganze „Ringtheorie der Erzählhaltungen“ nennt.
Wenn man sich die Erzählhaltungen als eine Skala vorstellt bei der sich die Stimmen der Erzähler von einer objektiven Mitte zu beiden Seiten immer mehr ins Subjektivere verschiebt, dann kommt man zu der Frage, was am Ende der Skala geschieht.
Das lernt ihr beim nächsten Mal, dann nämlich, wenn wir meine liebste Erzählhaltung einnehmen, die, bei der Figur, Erzähler und Autor miteinander verschmolzen sind.
Das geht doch gar nicht?!
Werdet ihr ja sehen