Freitag, 22. November 2013

Sonderformen in der Erzählhaltung: Teil II Rahmenhandlungen



...oder die Geschichte in der Geschichte.


 Es gibt noch eine andere Form, die einen Wechsel des Erzählers erlaubt und zwar die sogenannte Rahmenhandlung
Eine Rahmenhandlung bedeutet, dass die eigentliche Geschichte in eine andere Geschichte eingebettet ist, die der Haupterzählung vorangestellt wird und zu der sie am Ende meist zurückkehrt.



Der Roman beginnt mit einem Brief eines Captain Walton an seine Schwester Mrs Saville. In diesem berichtet er (als Ich-Erzähler natürlich) wie ein Mann namens Frankenstein Passagier auf seinem Schiff gewesen sei, und ihm in langen Nächten eine erstaunliche Beichte abgegeben habe. Diese Unterredungen mit seinem Passagier will der Captain nun im folgenden so wortgetreu wie möglich nieder schreiben.

Er (Frankenstein) fügte noch hinzu, dass er mit seiner Erzählung am nächstfolgenden Tage beginnen wolle, sobald ich genug Muße hätte, ihr zu lauschen. Solche Versprechung erfüllte mich mit den wärmsten Dankgefühlen, und ich habe mir vorgenommen, jede Nacht, wenn meine Pflichten mich nicht allzu gebieterisch in Anspruch nehmen, darauf zu verwenden, möglichst wortgetreu aufzuzeichnen, was der Fremde mir tagsüber berichtet hat. Sollte ich ab und zu verhindert sein, so will ich mir zumindest Notizen machen. Dir, teuerste Schwester, werden diese Aufzeichnungen unzweifelhaft das größte Vergnügen bereiten. Mit welcher Anteilnahme werde aber erst ich, der ich all das von des Erzählers Lippen vernehme, eines fernen Tages in diesen Blättern lesen!

Auf den Brief folgt das erste Kapitel, das übergangslos mit den Worten beginnt: “Gebürtig bin ich aus Genf, und zwar entstamme ich einem der vornehmsten Geschlechter dieser calvinistischen Republik.“
Hier hat also ein Wechsel des Ich-Erzählers stattgefunden, denn hier spricht nun Dr Frankenstein, nicht mehr der Captain (auch wenn dieser es ist, der die Worte dokumentiert.)
Hier wechseln sich also zwei Ich-Erzähler ab.
Die Mitte des Romanes besteht aus der Erzählung des Dr Frankenstein und wie dieser sein Monster erschuf. Erst ganz am Schluss kehrt der Leser in die „Gegenwart“ auf das Schiff von Captain Walton zurück. Und hier werden dann Rahmenhandlung und Binnenhandlung zusammengeführt, als das Monster auf dem Schiff erscheint und der Captain ihm persönlich begegnet.


150 Jahre später verwendete eine moderne Schauerromanautorin eine ähnliche Rahmentechnik für ihre raffinierte Geschichte: In "Gespräch mit einem Vampir“ beschreibt ein limited omniscient Narrator wie ein Journalist, der zunächst nur als „Junge“ bezeichnet wird, einen gewissen Louis interviewt. Dieser Louis behauptet von sich, er sei ein Vampir und berichtet wie er zu einem wurde. Die ganze Mitte des Romanes ist aus der Sicht des Vampirs als Ich-Erzähler, doch der Interviewer unterbricht regelmäßig mit Fragen und erinnert den Leser daran, in was für einer Erzählsituation er sich befindet. Am Ende dann ist der Interviewer so fasziniert (und überzeugt) von der Geschichte, dass er von dem Vampir fordert, ebenfalls zu einem Unsterblichen gemacht zu werden.
Das Besondere an dieser Erzählhaltung ist, dass es keine klare Abtrennung zwischen der Rahmenhandlung und der Binnenhandlung gibt, die immer wieder von Zwischenrufen unterbrochen wird, sondern sich Omniscient und First Person Narrator reibungslos miteinander abwechseln.


In „Die Brautprinzessin: S. Morgensterns klassische Erzählung von wahrer Liebe und edlen Abenteuern" von William Goldman werden beide Techniken miteinander verknüpft. Einerseits liest ein Vater seinem kranken Sohn eine fantastische Geschichte aus einem Buch vor – immer mal wieder unterbrochen von den Fragen seines Sohnes (oder den Kommentaren des Verfassers). Andererseits wird in einer Rahmenhandlung erzählt, wie William Goldman dazu kam, sich inmitten einer Drehbuchkonferenz in L.A. auf die Suche nach S. Morgensterns klassischer Erzählung von wahrer Liebe und edlen Abenteuern zu machen und warum er sich letztendlich dazu entschieden hat, eine Neufassung herauszubringen (und dafür ein lukratives Drehbuchgeschäft platzen lässt.)
(Diese Rahmenhandlung wurde in der gleichnamigen Verfilmung weggelassen, dort besteht die Rahmenhandlung nur aus dem Vorlesen des Buches.)
Man könnte also sagen, dass es sich bei der „Brautprinzessin“ um eine Rahmenhandlung in der Rahmenhandlung handelt.


Geht das?
Aber klar!

Rahmenerzählungen mit mehrfachem Rahmen werden auch Schachtelerzählungen genannt.
Dabei ist der Anzahl der Rahmen im Prinzip keine Grenze gesetzt.


Ein Beispiel für sehr viele ineinander verschachtelte Geschichten findet sich bei „Tausendundeinernacht“: Es ist die Erzählung über die Wesirstochter Scheherazade, die dem König jede Nacht eine spannende Geschichte erzählt, um so ihre eigene Hinrichtung aufzuschieben. Dabei enthalten ihre Geschichten manchmal Geschichten in der Geschichte.


In einer Rahmenhandlung kann also ein omniscient overt Narrator zurücktreten und seine Figur (als Ich-Erzähler) sprechen lassen, oder ein Ich-Erzähler einem anderen das Wort reichen oder sich verschiedene Erzähler abwechseln … wenn es dafür eine gute Begründung gibt.

Wie wärs denn mal damit? Das Literaturkaninchen wünscht viel Spaß beim Schreiben eurer eigenen Schachtelgeschichte.

Sonderformen in der Erzählhaltung Teil I: Die Collage
Sonderformen der Erzählhaltung Teil III: Der Watson Charakter

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