Mittwoch, 28. November 2012

Der Akt mit den Drei Akten - Teil I

Eines der ersten Dinge, die man übers Geschichtenerzählen lernt, ist, dass eine Story (egal, ob kurz oder lang, Roman oder Witz) aus drei Teilen besteht.

Anfang
Mittelteil
Schluss

Diese Erkenntnis hatten schon die alten Griechen, lange vor der Weltwirtschaftskrise. So sprach schon Aristoteles in seiner “Poetik” : “Ganz aber ist das, was Anfang, Mitte und Ende hat.”
Ja, ja, der war ein schlauer Fuchs, der Aristoteles.

Mir persönlich bereitet ja immer die Mitte besondere Probleme. Deswegen habe ich mir das Ganze noch einmal genauer angesehen und mich intensiver mit Aufbau und Struktur einer Geschichte beschäftigt. Mit dem, was die einzelnen Akte leisten müssen, wie sie aufgebaut sein sollten, wo die Trennung ist und wie sie ineinander übergehen. Und dabei hat Meiner Einer wieder einmal erstaunliches (und hilfreiches) gelernt.
Bevor wir uns aber nun meinen Erkenntnissen über die Graue-Haare-verursachende-Mitte zuwenden, gibt es jetzt vorher noch einen Crashkurs in Sachen:
Grundlagen zum Aufbau einer Story

Der Grundaufbau in 3 Akten sieht aus wie folgt (es gibt auch 5-Akter, aber die lassen wir für den Moment außen vor):
Jede simple Story folgt diesem Basisaufbau. Zwischen den Akten liegen die Wendepunkte (Plotpoints), von denen es also mindestens zwei große geben muss.

 
Der Anfang
Anfang ist, was selbst notwendigerweise nicht nach etwas anderem ist, nach dem aber ein anderes ist oder entsteht.“ - Aristoteles
Äh, ja.
Der Anfang muss eine Menge leisten. Er führt den Leser in Zeit, Ort und Personen ein, soll Atmosphäre schaffen, Spannung erzeugen und setzt Maßstäbe für Tempo und Stil. Die Hauptfigur wird eingeführt, der Hauptkonflikt genannt und das Ziel des Protagonisten gesetzt. Wendepunkt 1 ist der Auslöser. Hier geschieht etwas, dass die Hauptfigur aus ihrem normalen Alltag heraus reißt und zum Handeln zwingt.
Von da an ist die Welt nicht mehr, wie sie war.


Die Mitte
Mitte ist, was selbst nach einem anderen folgt und nach ihm ein anderes.“ - Aristoteles
Achso.
Die Mitte verbindet Anfang und Ende und treibt die Geschichte voran; der Hauptfigur wird bis zur Erreichung ihres Zieles viele kleine und größere Konflikte und Hindernisse in den Weg gelegt. Auch wenn diese Mini-Konflikte alle gelöst werden, die Hindernisse überwunden, führt die Handlung trotzdem unweigerlich auf den Showdown zu, dem Höhepunkt – der Klimax. Die Spannung kann steigen und sinken während der Mitte, der Protagonist kann immer wieder Ruhephasen erleben und kleinere Triumphe, aber der Gesamtspannungsbogen zum Höhepunkt hin darf nicht abfallen – und tut er auch nicht, denn der Hauptkonflikt ist noch immer nicht gelöst.


Das Ende
Ende aber ist im Gegenteil das, was selbst nach einem anderen ist, und zwar durch Notwendigkeit; nach ihm aber folgt nichts anderes.“ - Aristoteles
Genau.
Das Ende wird von der Klimax, dem Höhepunkt, der Hauptkonfrontation oder auch Showdown bestimmt. Hier kommt alles zu einem Ende, der Hauptkonflikt wird gelöst.
Zum Schluss bleibt nur noch, alle Fäden aufzusammeln und schnell die Geschichte abzuschließen – denn nach dem Höhepunkt fällt die Spannung rasch ab und der Leser verliert schnell das Interesse.




Viele schürzen den Knoten vortrefflich und lösen ihn schlecht wieder auf; man muss jedoch beides {Anfang und Ende} miteinander in Übereinstimmung bringen.” - Aristoteles


So viel zum Groben.
Das war ja nu für die meißten von euch nicht viel Neues. Aber es geht ja noch weiter.
Nächste Woche werden wir dann mal die einzelnen Akte noch genauer unter die Lupe nehmen, schauen uns die beiden großen Wendepunkte an und arbeiten einen detaillierten Plan für eine Plotstruktur aus.
Denn dies ist ja bisher nur das grobe Gerüst.

Zum Abschluss möchte ich mich dann nur noch bei meinem Gastredner Aristrotteles bedanken.





Donnerstag, 15. November 2012

Flashbacks und Flashforwards



 

                                                                                                                                             (Bildquelle: http://imgfave.com/)



Das Ding mit dem Leben ist nun einmal dieses: Alles passiert uns in chronologischer Reihenfolge.
Wäre es nicht interessanter, wenn es das nicht täte?
Manchmal lehnen wir uns zurück und malen uns aus, wie die Zukunft sein wird. Und ein andermal schwelgen wir in Erinnerungen an vergangene Zeiten.
Das Feine ist: du als Autor kannst genau das auch in deiner Geschichte tun.
Einen Sprung in die Zukunft nennt der Herr Autor Flashforward.
Einen Rückblick in die Vergangenheit nennt er Flashback.
Aber nur, wenn diese Sprünge richtige ausgearbeitete Szenen sind, die den Leser alles live miterleben lassen, so als würde es gerade vor ihren Augen geschehen.

Ein Beispiel: „Die Kabine sah der Flugzeugkabine eines gewöhnlichen kommerziellen Passagierflugzeuges verblüffend ähnlich – mit der einzigen Ausnahme, dass es keine Fenster gab, sehr zu Langdons Beunruhigung. Er hatte sein Leben lang unter einer schwach ausgeprägten Klaustrophobie gelitten – die Folge eines Kindheitserlebnisses, das er niemals ganz überwunden hatte.“ – aus Dan Brown „Illuminati“
Dies ist kein Flashback. Denn der Autor zeigt uns dieses Kindheitserlebnis nicht, er erwähnt es nur. Der Autor Dan Brown hätte an dieser Stelle einen Flashback einfügen können, indem er den Leser detailliert und genau an jenem Kindheitserlebnis teilnehmen lässt, und dann zu der Szene in dem Flugzeug zurück schneidet.
Tut er aber nicht.
Warum?
Hätte es nicht eine stärkere Wirkung auf den Leser gehabt? Würde er an dieser Stelle, wenn er die Angst und die Bedrohung in der Kindheit Langdons mitdurchlebt hätte, nicht viel besser nachvollziehen können, wie die Figur Langdon sich jetzt in dieser engen Flugzeugkabine fühlt?
Ja, würde er.
Und damit haben wir schon einen der Hauptfunktionen eines Flashbacks entdeckt: Er deckt Motivationen und Hintergründe auf und bindet damit den Leser emotional stärker an die Figuren.
Aber Dan Brown hat sich an dieser Stelle dagegen entschieden, denn Flashbacks haben auch einen Nachteil: sie unterbrechen den Haupterzählstrang und verlangsamen somit die Vorwärtsbewegung einer Geschichte.
Deswegen will gut überlegt sein, ob man mit dem Flashforward - oder Flashbackwardbutton spielt.

Beispiel 2: „Nicht viele Kinder konnten von sich sagen, dass sie sich an den Tag erinnerten, an dem sie ihren Vater kennengelernt hatten.
Anders Vittoria Vetra.
Sie war acht Jahre alt gewesen und hatte gewohnt, wo sie immer gewohnt hatte: im Orfanotrofio die Siena, einem katholischen Waisenhaus in der Nähe von Florenz, ausgesetzt von Eltern, die sie niemals gekannt hatte. Es hatte geregnet an dem Tag. Die Nonnen hatten sie zweimal zum Abendessen gerufen, doch wie stets hatte sie getan, als höre sie nichts. Sie lag draußen im Hof und starrte die Regentropfen an … spürte, wie sie von ihnen getroffen wurde … versuchte zu raten, wo der nächste treffen würde. Die Nonnen riefen erneut und drohten, dass eine Lungenentzündung einem halsstarrigen Kind wie ihr die Neugier auf die Natur schon austreiben würde. Ich kann nichts hören, hatte Vittoria gedacht. Sie war durchnässt bis auf die Haut, als ein junger Priester kam, um sie zu holen. Sie kannte ihn nicht, er mußte neu sein. […] Der Priester heißt Leonardo und die beiden kommen ins Gespräch. Nach einer Weile fragt er:[…] „Möchtest du, das ich dich adoptiere?“, fragte Leonardo.
„Was bedeutet adoptieren?“
Vater Leonardo erklärte es ihr.
Vittoria drückte sich volle fünf Minuten vor Freude weinend an ihn. „Ja! Oh ja!“
Leonardo sagte ihr, dass er für eine Weile fort sein würde, um in der Schweiz ein neues Heim für sie beide einzurichten, doch er versprach, sie in spätesten sechs Monaten zu holen. Es war die längste Zeit in Vittorias Leben, doch Leonardo hielt Wort. Fünf Tage vor ihrem neunten Geburtstag zog sie nach Genf.“-  aus Dan Brown „Illuminati“
Habt ihr es gemerkt?
Die Szene, wie sie ihren Adoptivvater das erste Mal getroffen hat, ist ausführlich beschrieben, mit fallenden Regentropfen und allem, so als erlebe man sie direkt mit. Inklusive ausgearbeitetem Dialog. (Auch wenn ich ihn nicht in seiner ganzen Länge wiedergegeben habe).
Das ist ein Flashback.

Flashbacks können unterschiedliche Längen haben, von einer einzigen Szene in nur vier oder fünf Zeilen, bis hin zu ganzen Kapiteln.
 Markiert werden sie durch einen Wechsel in der Erzählzeit.
Wer also seine Geschichte im Präsens schreibt, muss in die Vergangenheitsform wechseln, und wer in der Vergangenheitsform schreibt, muss in die Vorvergangenheit (Plusquamperfekt) wechseln. Da sich das Plusquamperfekt über längere Zeilen sehr sperrig liest (all die „hatte gesagt“ und „hätte gemacht gehabt gewollt“ will ja keiner) mogelt sich Herr Autor nach wenigen Sätzen in die einfache Vergangenheitsform zurück und nur zum Ausstieg wieder in das Plusquamperfekt.
Guckt euch das ruhig mal an, wie der Dan Brown das macht. Der Schummler.

So, und was hat er nun davon, dass er uns das Mädchen im Regen und ihre erste Begegnung mit ihrem Adoptivvater zeigt? Hätte er das nicht auch zusammenfassen können, anstatt fünf Seiten dafür zu opfern?
Ja, hätte er.
Aber er hat sich bewusst dafür entschieden, uns - dem Leser - das ausführlich und live zu zeigen.
Denn jetzt ist der Leser mit einem guten Stück Informationen über die Figur der Vittoria ausgestattet und kann sich viel besser in sie hineinversetzen und somit Empathie für sie empfinden. Denn rate mal, was gleich in der Haupthandlung geschehen wird, wen der Leser treffen wird und wem als nächstes etwas ganz übles (oder gar tödliches) geschieht?
Genau.
Dem Leser musste diese Szene gezeigt werden, damit er emotional genug mit der Handlung verstrickt ist, um Anteilnahme an dieser neu eingeführten Figur zu empfinden.

Wenn du Schwierigkeiten hast, dich zu entscheiden, ob ein Flashback überflüssig oder angebracht ist, dann hilft es dir vielleicht, dir deine Geschichte als Film vorzustellen.
Denn da kommt die Technik schließlich ursprünglich auch her.
Im Film wurden Szenen, die in die Erinnerung oder Vergangenheit einer Figur führen früher oft mit einem hellen Aufblitzen eingeleitet (Daher das Wort „Flash“-back). Später bediente man sich anderer visueller Hinweise. (Wechsel zu schwarz-weiß, blurred/ verschwommen, in Sepia-Tönen, mit wackeliger Handkamera gedreht ect.)
Heutzutage verzichtet man häufig auf solche visuellen Zeichen und erwartet, dass der Zuschauer aus dem Zusammenhang versteht, wo die Szene zeitlich einzuordnen ist.
Ja, Deiner Einer hört richtig.
In modernen Filmen werden Szenen häufig ohne einleitende Erklärung oder Überleitung aneinander geschnitten, die zeitlich nicht zusammengehören, und der Zuschauer darf dann raten, wo im Erzählstrang er sich befindet.
Das ist ein beliebtes Mittel zur Spannungserzeugung.
Gerade gesehen: Die Folgen der Zombie-Shocker-Apokalypsen-Serie „Walking Dead“ beginnen oft mit einem Flashback oder einem Flashforward.
Auch „How I met your mother“ springt fröhlich in den Zeiten.
Die Autoren von „How I met your mother“ spielen sogar sehr viel mit ihren „Stop“ und „Forward“ und „Fastbackward“-Buttons.
Genau genommen ist alles in How I met you mother Erzählte ein Flashback, denn die Handlung beginnt jedes Mal damit, dass ein Mann seinen Kindern erzählen will, wie er ihrer Mutter das erste Mal begegnet ist. Sämtliche darauf gezeigte Handlung spielt also in der Vergangenheit, wobei es innerhalb dieses Flashbacks weitere Flashbacks innerhalb von Flashbacks geben kann, sowie Flashforwards mit Blicken in die Zukunft.
Cool?
Ein Allwissender Erzähler kann sowas.

Wenn du das auch können willst, dann leg die Pfoten auf den Button, schneide deine Geschichte in viele kleine Häppchen und frage dich, welche Szenen du in deinem Roman drin haben willst, welche unbedingt ausführlich gezeigt werden müssen, und welche als Nacherzählung kurz zusammengefasst werden können.
Welche gar nicht gezeigt werden brauchen.
Welche man vorverlegen kann und welche mitten in der Action einschieben.
Das nennt man dann „Nicht-Lineares Erzählen“.

Nicht-Lineares Erzählen ist wie das Zusammenstellen eines Mixtapes.
Vorspulen bis zum Lieblingslied.
Auf Seite B wechseln, zu dem anderen Lied, das so schön dazu passt und Erinnerungen an einen heißen Sommer wachruft.
Zurückspulen zum Anfang.

Stories can be perfect, when you know how to play them well.