Dienstag, 19. Juni 2012

Hollywood schämt sich nicht

War im Internet auf Recherche.
Ich liebe das Internet.
Wo sonst kommt man so schnell an so viele Informationen?
Die größte Ablenkung und die größte Zeitfalle beim Schreiben.
Keinen einzigen Satz geschrieben, aber den Block voller Notizen, den Verlaufsordner voller neuer interessanter Links, denen man irgendwann mal nachgehen will …
Und man kommt an Orte, an denen man nie sein wollte.
Z. B. das Smith&Wessons Forum.
Ein nettes kleines Forum, in dem sich freundliche ältere Amerikaner über ein und dasselbe Thema unterhalten, ein hübsches kleines Hobby, das sie haben: Schußwaffen.
Zugegeben, das war ja auch mein Thema. Im Moment.
Die Schußwaffen, die 1930 von dem Gaunerpärchen Bonnie & Clyde benutzt worden sind.
Ich bin froh, dass ich in einem Zeitalter lebe in dem ich solche Informationen bekommen kann, ohne physikalisch tätig zu werden. Wie aufwendig war es doch noch früher in Bibliotheken zu gehen, sich durch lange Register und Karteikarten zu wühlen und dann einen Stapel Bücher mit nach hause zu schleppen oder gleich vor Ort hunderte von Seiten durchzugehen, um vielleicht dann irgendwo diese eine nützliche Information zu erhalten. Stattdessen sitze ich gemütlich zuhause in meinem ergonomischen Bürostuhl, gebe ein paar Stichworte ein und klicke mich durch Foren. Oder stelle Fragen:
What are BARS?“
Browning Automatic Rifle. 30-06 full auto rifles. 20 round box magazines. Heavy, but impossibly effective.“ – „The first Squad Automatic weapon, and some think the best. Google images for a look, I don't have any photos. Also look at the Colt Monitor, a civilian and police version. It'll make you drool.“
Danke für die Antwort, aber: It will make me drool?
Oh mann, wo bin ich da gelandet.
Clyde did carry and use to great effect a cut down BAR. Shortened at the barrel and on the stock, wanting to say stock was about the length of a M-4 collapsed.” Aha, jetzt wird es interessant. “Lever action 10ga, Browning A5's, Remmy's all cut down were carried by Bonnie and Clyde. Clyde called them Whippet guns cause they could be whipped out from under a coat. Never heard about them carrying single shots. Kinda of a stupid move even back then. And with the way Clyde was modifing guns they were scary enough.“
Ich hänge an ihren Lippen. Ich verliere mich in Details.
Ich frage mich, ob diese Typen da wissen, wovon sie reden, schließlich geben sie keine Quellenangaben. Hatte ich das nicht eingebläut bekommen in der Schule, im wissenschaftlichen Arbeiten? Die Quellen müssen benannt werden! Wie kann ich wissen, ob das stimmt, was da gesagt wird, woher kommen diese Infos?


Und dann geht die Diskussion im Forum genau darum, welche Waffe die „echte“ ist, welche Informationen stimmen, ob die Dokumentation von der BBC gut oder schlecht recherchiert war, ob man den sogenannten „Experten“ vertrauen kann, dass viele der Waffen, die im Umlauf sind und die Bonnie & Clyde gehört haben sollen, eine Fälschung sind, dass die Gangster selber solche Waffen in Umlauf gebracht und verkauft haben, um an schnelles Geld zu kommen, dass man heutzutage kaum noch sagen kann, wie es wirklich war oder nicht, dass die meißten Waffen vom FBI konfisziert wurden und heute im Museum sind, und alle anderen daher ein „Fake“ ect.
Ich verzettel mich.
Ich bin kein Waffenexperte und will auch keiner werden. Was auf den ersten Blick als schnelle Info so brauchbar und verführerisch wirkte, ist auf den zweiten Blick keine schnelle Hilfe, sondern würde erfordern, dass ich die nächsten Stunden, Tage, Wochen damit verbringe, die Quellen nachzuforschen, wer was wann wo gesagt hat, woher die Leute ihre Informationen haben, und was nur „Hörensagen“ ist.
Doch das will ich nicht, ich habe jetzt schon zu viel Zeit verplempert, ich will meine Geschichte weiterschreiben, und mich nicht weiter durch Foren Posts wühlen.
Und so frage ich mich gequält: Muß ich unbedingt historisch korrekt sein?
Und dann ist da dieser eine Typ im Forum, der genau das auf den Punkt bringt:
Schon zu ihren Lebzeiten haben die Gangster selber Halbwahrheiten über sich verbreitet und an ihrer eigenen Legende gearbeitet. Schon 1934 haben die Zeitungen widersprüchliche Details veröffentlicht.
Alles übrige danach tat Hollywood.
Die Requisiteure werden Warren Beatty und Faye Dunaway eine Waffe in die Hand gedrückt haben, nicht weil sie historisch korrekt war und nachweislich genau das Model, das damals verwendet wurde, sondern eine die cool aussah. (Und eine die zumindest theoretisch damals in Benutzung hätte sein können. Das reicht.) Es ist ihnen egal gewesen, ob eine Thompson „unpraktisch“ war und dass Clyde seine „BARS abzusägen pflegte, damit er sie unter dem Mantel verstecken konnte.“ Abgesägt macht sie aber weniger her.
Unser Wissen von der Vergangenheit ist geprägt von Bildern von Hollywood.
Was wollte ich nochmal?
Ach ja.
Das Internet.
Wenn man nicht gerade Historiker ist, sollte man sich nicht schämen, Dinge die man aufgeschnappt hat, zu verwenden.
Hauptsache es sieht cool aus.
Hollywood schämt sich ja auch nicht.