Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 8 |
Limited Omniscient? Was ist das denn?
Der limited Omniscient Narrator ist ein Allwissender
Erzähler, der sein Allwissen nicht in seinem ganzen Potential nutzt.
Er gibt dem Leser
immer nur so viel an die Hand, wie dieser für den Moment wissen muss, d.h. er
greift der Handlung niemals vor („Bilbo
würde Taten begehen, die ihm niemand zugetraut hätte“) oder wertet („Wawuschels sind sehr liebe Wesen“) wie
sein Kollege der Allwissende tun würde, sondern berichtet objektiv als
Außenstehender über die Figuren. Dabei nähert er sich also - wie man auf
der Skala gut erkennen kann - dem „Objektive Narrator“, der kühl und sachlich
berichtet, ohne eigene Meinungen einfließen zu lassen, beinahe wie ein Journalist. Allerdings
hat dieser "Journalist" sehr wohl Einblick in Gedanken und Gefühle aller Figuren. Doch er gibt
sie dem Leser nur, wenn es ihm in den Kram passt. Häufig limitiert er sich auf
einen Einblick in die Hauptfigur obwohl er in alle anderen Figuren schauen könnte.
Beispiel:
Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry: Roman
Der Brief der alles verändern sollte, kam an einem Dienstag.
An einem ganz gewöhnlichen Vormittag Mitte April, der nach frisch gewaschener
Wäsche und Grasschnitt roch. Harold saß glatt rasiert und im sauberen Hemd mit
Krawatte am Frühstückstisch vor seiner Scheibe Toast, die er nicht aß. Er sah
aus dem Küchenfenster auf den kurzgeschorenen Rasen hinaus, der an drei Seiten
von den blickdichten Bretterzäunen der Nachbarn eingeschlossen war. Mittendrin
steckte Maureens Wäschespinne.
„Harold!“, rief Maureen über den Staubsaugerlärm hinweg.
„Post!“
Eigentlich wäre er gern hinausgegangen, aber das Einzige, was
es draußen zu tun gab, war Rasenmähen, und das hatte er gestern schon erledigt.
Der Staubsauger verstummte, und seine Frau erschien mit dem Brief und einem
säuerlichen Gesicht. Sie setzte sich Harold gegenüber.
Maureen war eine zierliche Frau mit silbergrauem Bob und
flinken Schritten. Als sie sich kennenlernten, war es Harolds größte Freude,
sie zum Lachen zu bringen. Zuzusehen, wie sie ihre straffe Haltung verlor und
ausgelassen zu zucken begann. „Für dich“, sagte sie. Er wusste nicht, was sie
meinte, bis sie einen Umschlag über den Tisch schob und bei seinem Ellbogen
liegen ließ. Beide betrachteten ihn, als hätten sie noch nie einen Brief
gesehen.
Er war rosa.“
Im allerersten Satz versteckt sich eine kleine Wertung, bzw.
ein Ausblick („der Brief, der alles
verändern sollte“). Hieran erkennt man sofort einen Omniscient
Narrator, denn ein Third Person Erzähler hätte dieses nicht sagen können (die
Figur des Harold weiß ja nicht, dass der Brief alles ändern wird). Gefolgt wird
der Satz von einer Beschreibung des drinnen und draußen, davon was Harold denkt
und sich wünscht, sowie seiner Frau Maureen, die uns allerdings rein äußerlich
beschrieben wird. Wir erfahren (hier) nicht, was Maureen denkt, nur dass sie ein
säuerliches Gesicht macht. Aus der Sicht eines Third Person Erzählers
geschrieben, hätten der Satz lauten müssen: „Er sah Maureen zu ihm in die Küche
kommen und bemerkte, dass sie ein säuerlich Gesicht machte“. Ein wenig
umständlich, oder?
Der Omniscient Narrator hat es bei Beschreibungen leichter. Er kann wie eine
Kamera von außen alles beschreiben, was vor sich geht. Dafür klingt er distanzierter,
weswegen viele die Third Person Erzählhaltung vorziehen.
Der Limitierte Omniscient wird häufig mit dem Third Person objective verwechselt.
Denn er hat einen Vorteil: dieser Erzähler kann in eine Third Person Erzählhaltung wechseln (oder zumindest streckenweise so berichten,
als würde er personell erzählen, sich quasi in eine Figur „versenken“)- aber nicht umgekehrt.
Der Third Person Erzähler dagegen kann nicht aus der Figur
heraustreten und von außen beschreiben.
Eine Third Person Erzählhaltung konsequent durchzuhalten ist
daher sehr schwer – hier passieren dem unerfahrenen Autoren die häufigsten Fehler.
Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 8 |
Noch ein Beispiel:
Lois Duncan:Killing Mr Griffin
„Es war ein stürmischer Frühlingstag, als sie auf die Idee
kamen, Mr Griffin zu töten.
Susan McConnell überquerte die Sportanlage in Richtung
Schulgebäude. Sie musste sich gegen den Wind stemmen und mit den Händen die
Ränder ihrer Brille abschirmen, damit der aufgewirbelte rote Staub ihr nicht in
die Augen drang. […] Ich hasse den Frühling, dachte Susan. Ich hasse den Staub
und den Wind. Ich wünschte, wir würden irgendwo anders leben. Eines Tages …
Sie benutzte sie oft, diese beiden Worte – eines Tages. […]
Susan drehte sich um und sah David Ruggles auf sich
zulaufen. […]
Susan ging neben ihm her und ihre schlechte Laune war auf
einmal wie weggeblasen. So schlimm war der Wind letztendlich gar nicht,
immerhin hatte er ihr ein Glück beschert, von dem sie niemals zu träumen gewagt
hätte – Susan McConnell betrat die Eingangshalle der Del Notre Highschool,
Seite an Seite mit dem umwerfend aussehenden, bei allen beliebten David
Ruggles, dem Schülersprecher der Oberstufe.
Während der letzten zwölf Monate hatte Susan jede Nacht von
David geträumt, zumindest in den Träumen, an die sie sich erinnern konnte.“
Der erste Satz ist wieder eine Vorwegnahme, wie sie nur ein Omniscient
Narrator machen darf. Danach folgen Beschreibungen wie sie auch ein Third Person
Erzähler tun könnte; bis auf die wertenden Sätze „sie benutzte sie oft, diese beiden Worte – eines Tages …“, „der bei allen beliebte David …“ und „während der letzten Wochen hatte sie jede
Nacht von ihm geträumt …“. Hier spricht ein Erzähler, der uns über die
Figur informiert. Wenn auch so subtil, dass es sich um die Gedanken der Figur
handeln könnte.
Manchmal ist es sehr schwer, einen Third Person Erzähler von
einem Limited Omniscient zu unterscheiden.
Hier geschehen die meißten Fehler: der Third Person Erzähler
rutscht ins auktoriale und der als auktorial gedachte Erzähler wird personal.
Es bedarf einiger Übung beide voneinander zu unterscheiden
und auch sauber durchzuhalten.
(Trick zur Überprüfung: „Er“ kann nicht durch „Ich“
ersetzt werden)
Ein letztes Beispiel:
Lara Adrian:Gesandte des Zwielichts
„Der Vampir hatte keine Ahnung, dass im Dunkel der Tod auf
ihn lauerte. In seiner Gier war er mit allen Sinnen völlig auf die halb nackte
Rothaarige in seinen Armen konzentriert, die ihn mit kaum gezügelter Lust
betatschte. Zu fiebrig, um zu bemerken, dass sie in seinem Schlafzimmer im
Dunklen Hafen nicht allein waren, öffnete er mit einem mentalen Befehl die
geschnitzten Türflügel und führte seine willige, keuchende Beute hinein. Die
Frau schwankte auf ihren hohen Absätzen, sie entwand sich ihm lachend und
drohte mit dem Finger.[…] Er folgte ihr mit bedächtigen Bewegungen, schloss die
Tür hinter sich und schlich auf sie zu. […] Außer dem verdeckten
bernsteinfarbenen Glühen seiner Augen und dem schwachen Glanz der Sterne auf
der anderen Seite der hohen Fenster, die auf das Privatgrundstück des Dunklen
Hafens blickten, gab es kein Licht im Raum. Aber als Stammesvampir sah er auch ohne
Licht.
Genau wie der andere, der gekommen war, um ihn zu töten.
Genau wie der andere, der gekommen war, um ihn zu töten.
Aus den Schatten auf der anderen Seite des großen Raumes
beobachteten dunkle Augen, wie der Vampir seine Blutwirtin von hinten packte
und zur Sache kam. Als die erste kupfrige Duftwolke aus der geöffneten
menschlichen Ader drang, schossen die Fänge des Beobachters reflexartig aus
seinem Zahnfleisch. Auch er war ausgehungert, mehr, als er zugeben wollte, aber
er war zu einem höheren Zweck hierhergekommen, als seine eigenen
Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Was er wollte, war Rache.“
Was er wollte, war Rache.“
Achte darauf, wie hier die Perspektive von einer
Figur zu der anderen gewechselt wird. (Von dem Stammesvampir zu seinem
Beobachter). Das ist kein Perspektivbruch, sondern hier erzählt ein Limitierter
Omniscient Narrator über die Figuren. Er kann also die Sichtweise wechseln, nicht aber die Erzählhaltung.
Zusammenfassung: „Limited Omniscient Narrator“
-
Objektiver Erzähler, der über die Figur erzählt.
-
Außenansicht auf die Figur.
-
Hat Einblick in Gedanken oder Gefühle der
Figuren,limitiert sich aber.
-
Erzähler versteckt; kommentiert/wertet nicht, darf
Leser nicht direkt ansprechen, kein "ich" des
Erzählers
Erzählers
-
Ausschließlich „reliable“ Erzähler
-
Ist frei in Zeit und Raum, kann über Ereignisse
berichten, die die Figur nicht erlebt, ist nicht an eine Figur gebunden,
limitiert sich aber.
-
„Er“ kann nicht durch „ich“ ersetzt werden
Hausaufgabe
Vergleiche Lara Adrian mit Phillip Pullmans „Der GoldeneKompass“.
Sind dir die Unterschiede klar?
Dies ist die letzte der Erzählhaltungen auf unser
regenbogenfarbenen Palette. Mit dem limited omniscient Narrator schließt sich
der Kreis und du als Autor hast nun das ganze Spektrum an Möglichkeiten zur
Verfügung.
Moment mal, Kreis?
Ja, in der Tat!
Wir kommen nun zu dem Punkt, warum Meiner Einer das ganze „Ringtheorie der Erzählhaltungen“ nennt.
Wenn man sich die Erzählhaltungen als eine Skala vorstellt bei der sich die Stimmen der Erzähler von einer objektiven Mitte zu beiden Seiten immer mehr ins Subjektivere verschiebt, dann kommt man zu der Frage, was am Ende der Skala geschieht.
Das lernt ihr beim nächsten Mal, dann nämlich, wenn wir meine liebste Erzählhaltung einnehmen, die, bei der Figur, Erzähler und Autor miteinander verschmolzen sind.
Das geht doch gar nicht?!
Werdet ihr ja sehen …
Moment mal, Kreis?
Ja, in der Tat!
Wir kommen nun zu dem Punkt, warum Meiner Einer das ganze „Ringtheorie der Erzählhaltungen“ nennt.
Wenn man sich die Erzählhaltungen als eine Skala vorstellt bei der sich die Stimmen der Erzähler von einer objektiven Mitte zu beiden Seiten immer mehr ins Subjektivere verschiebt, dann kommt man zu der Frage, was am Ende der Skala geschieht.
Das lernt ihr beim nächsten Mal, dann nämlich, wenn wir meine liebste Erzählhaltung einnehmen, die, bei der Figur, Erzähler und Autor miteinander verschmolzen sind.
Das geht doch gar nicht?!
Werdet ihr ja sehen …
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