Freitag, 16. August 2013

Teil 8: Limited Omniscient Narrator


Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 8




Limited Omniscient? Was ist das denn?

Der limited Omniscient Narrator ist ein Allwissender Erzähler, der sein Allwissen nicht in seinem ganzen Potential nutzt.

 Er gibt dem Leser immer nur so viel an die Hand, wie dieser für den Moment wissen muss, d.h. er greift der Handlung niemals vor („Bilbo würde Taten begehen, die ihm niemand zugetraut hätte“) oder wertet („Wawuschels sind sehr liebe Wesen“) wie sein Kollege der Allwissende tun würde, sondern berichtet objektiv als Außenstehender über die Figuren. Dabei nähert er sich also - wie man auf der Skala gut erkennen kann - dem „Objektive Narrator“, der kühl und sachlich berichtet, ohne eigene Meinungen einfließen zu lassen, beinahe wie ein Journalist. Allerdings hat dieser "Journalist" sehr wohl Einblick in Gedanken und Gefühle aller Figuren. Doch er gibt sie dem Leser nur, wenn es ihm in den Kram passt. Häufig limitiert er sich auf einen Einblick in die Hauptfigur obwohl er in alle anderen Figuren schauen könnte
Beispiel:

Der Brief der alles verändern sollte, kam an einem Dienstag. An einem ganz gewöhnlichen Vormittag Mitte April, der nach frisch gewaschener Wäsche und Grasschnitt roch. Harold saß glatt rasiert und im sauberen Hemd mit Krawatte am Frühstückstisch vor seiner Scheibe Toast, die er nicht aß. Er sah aus dem Küchenfenster auf den kurzgeschorenen Rasen hinaus, der an drei Seiten von den blickdichten Bretterzäunen der Nachbarn eingeschlossen war. Mittendrin steckte Maureens Wäschespinne.
„Harold!“, rief Maureen über den Staubsaugerlärm hinweg. „Post!“
Eigentlich wäre er gern hinausgegangen, aber das Einzige, was es draußen zu tun gab, war Rasenmähen, und das hatte er gestern schon erledigt. Der Staubsauger verstummte, und seine Frau erschien mit dem Brief und einem säuerlichen Gesicht. Sie setzte sich Harold gegenüber.
Maureen war eine zierliche Frau mit silbergrauem Bob und flinken Schritten. Als sie sich kennenlernten, war es Harolds größte Freude, sie zum Lachen zu bringen. Zuzusehen, wie sie ihre straffe Haltung verlor und ausgelassen zu zucken begann. „Für dich“, sagte sie. Er wusste nicht, was sie meinte, bis sie einen Umschlag über den Tisch schob und bei seinem Ellbogen liegen ließ. Beide betrachteten ihn, als hätten sie noch nie einen Brief gesehen.
Er war rosa.“


Im allerersten Satz versteckt sich eine kleine Wertung, bzw. ein Ausblick („der Brief, der alles verändern sollte“). Hieran erkennt man sofort einen Omniscient Narrator, denn ein Third Person Erzähler hätte dieses nicht sagen können (die Figur des Harold weiß ja nicht, dass der Brief alles ändern wird). Gefolgt wird der Satz von einer Beschreibung des drinnen und draußen, davon was Harold denkt und sich wünscht, sowie seiner Frau Maureen, die uns allerdings rein äußerlich beschrieben wird. Wir erfahren (hier) nicht, was Maureen denkt, nur dass sie ein säuerliches Gesicht macht. Aus der Sicht eines Third Person Erzählers geschrieben, hätten der Satz lauten müssen: „Er sah Maureen zu ihm in die Küche kommen und bemerkte, dass sie ein säuerlich Gesicht machte“. Ein wenig umständlich, oder?

Der Omniscient Narrator hat es bei Beschreibungen leichter. Er kann wie eine Kamera von außen alles beschreiben, was vor sich geht. Dafür klingt er distanzierter, weswegen viele die Third Person Erzählhaltung vorziehen.

Der Limitierte Omniscient wird häufig mit dem Third Person objective verwechselt.

Denn er hat einen Vorteil: dieser Erzähler kann in eine Third Person Erzählhaltung wechseln (oder zumindest streckenweise so berichten, als würde er personell erzählen, sich quasi in eine Figur „versenken“)- aber nicht umgekehrt.

Der Third Person Erzähler dagegen kann nicht aus der Figur heraustreten und von außen beschreiben.

Eine Third Person Erzählhaltung konsequent durchzuhalten ist daher sehr schwer – hier passieren dem unerfahrenen Autoren die häufigsten Fehler.

Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 8





Noch ein Beispiel:


Lois Duncan:Killing Mr Griffin

„Es war ein stürmischer Frühlingstag, als sie auf die Idee kamen, Mr Griffin zu töten.
Susan McConnell überquerte die Sportanlage in Richtung Schulgebäude. Sie musste sich gegen den Wind stemmen und mit den Händen die Ränder ihrer Brille abschirmen, damit der aufgewirbelte rote Staub ihr nicht in die Augen drang. […] Ich hasse den Frühling, dachte Susan. Ich hasse den Staub und den Wind. Ich wünschte, wir würden irgendwo anders leben. Eines Tages …
Sie benutzte sie oft, diese beiden Worte – eines Tages. […]
Susan drehte sich um und sah David Ruggles auf sich zulaufen. […]
Susan ging neben ihm her und ihre schlechte Laune war auf einmal wie weggeblasen. So schlimm war der Wind letztendlich gar nicht, immerhin hatte er ihr ein Glück beschert, von dem sie niemals zu träumen gewagt hätte – Susan McConnell betrat die Eingangshalle der Del Notre Highschool, Seite an Seite mit dem umwerfend aussehenden, bei allen beliebten David Ruggles, dem Schülersprecher der Oberstufe.
Während der letzten zwölf Monate hatte Susan jede Nacht von David geträumt, zumindest in den Träumen, an die sie sich erinnern konnte.“


Der erste Satz ist wieder eine Vorwegnahme, wie sie nur ein Omniscient Narrator machen darf. Danach folgen Beschreibungen wie sie auch ein Third Person Erzähler tun könnte; bis auf die wertenden Sätze „sie benutzte sie oft, diese beiden Worte – eines Tages …“, „der bei allen beliebte David …“ und „während der letzten Wochen hatte sie jede Nacht von ihm geträumt …“. Hier spricht ein Erzähler, der uns über die Figur informiert. Wenn auch so subtil, dass es sich um die Gedanken der Figur handeln könnte.
Manchmal ist es sehr schwer, einen Third Person Erzähler von einem Limited Omniscient zu unterscheiden.


Hier geschehen die meißten Fehler: der Third Person Erzähler rutscht ins auktoriale und der als auktorial gedachte Erzähler wird personal.

Es bedarf einiger Übung beide voneinander zu unterscheiden und auch sauber durchzuhalten.

(Trick zur Überprüfung: „Er“ kann nicht durch „Ich“ ersetzt werden)





Ein letztes Beispiel:


 Lara Adrian:Gesandte des Zwielichts

„Der Vampir hatte keine Ahnung, dass im Dunkel der Tod auf ihn lauerte. In seiner Gier war er mit allen Sinnen völlig auf die halb nackte Rothaarige in seinen Armen konzentriert, die ihn mit kaum gezügelter Lust betatschte. Zu fiebrig, um zu bemerken, dass sie in seinem Schlafzimmer im Dunklen Hafen nicht allein waren, öffnete er mit einem mentalen Befehl die geschnitzten Türflügel und führte seine willige, keuchende Beute hinein. Die Frau schwankte auf ihren hohen Absätzen, sie entwand sich ihm lachend und drohte mit dem Finger.[…] Er folgte ihr mit bedächtigen Bewegungen, schloss die Tür hinter sich und schlich auf sie zu. […] Außer dem verdeckten bernsteinfarbenen Glühen seiner Augen und dem schwachen Glanz der Sterne auf der anderen Seite der hohen Fenster, die auf das Privatgrundstück des Dunklen Hafens blickten, gab es kein Licht im Raum. Aber als Stammesvampir sah er auch ohne Licht.
Genau wie der andere, der gekommen war, um ihn zu töten.

Aus den Schatten auf der anderen Seite des großen Raumes beobachteten dunkle Augen, wie der Vampir seine Blutwirtin von hinten packte und zur Sache kam. Als die erste kupfrige Duftwolke aus der geöffneten menschlichen Ader drang, schossen die Fänge des Beobachters reflexartig aus seinem Zahnfleisch. Auch er war ausgehungert, mehr, als er zugeben wollte, aber er war zu einem höheren Zweck hierhergekommen, als seine eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Was er wollte, war Rache.“



Achte darauf, wie hier die Perspektive von einer Figur zu der anderen gewechselt wird. (Von dem Stammesvampir zu seinem Beobachter). Das ist kein Perspektivbruch, sondern hier erzählt ein Limitierter Omniscient Narrator über die Figuren. Er kann also die Sichtweise wechseln, nicht aber die Erzählhaltung.

Zusammenfassung: „Limited Omniscient Narrator“

-        Objektiver Erzähler, der über die Figur erzählt.
-        Außenansicht auf die Figur.
-        Hat Einblick in Gedanken oder Gefühle der Figuren,limitiert sich aber.
-        Erzähler versteckt; kommentiert/wertet nicht, darf Leser nicht direkt ansprechen, kein "ich" des
Erzählers
-        Ausschließlich „reliable“ Erzähler
-        Ist frei in Zeit und Raum, kann über Ereignisse berichten, die die Figur nicht erlebt, ist nicht an eine Figur gebunden, limitiert sich aber.
-        „Er“ kann nicht durch „ich“ ersetzt werden
 
Hausaufgabe

Vergleiche Lara Adrian mit Phillip Pullmans „Der GoldeneKompass“.

Sind dir die Unterschiede klar?

Dies ist die letzte der Erzählhaltungen auf unser regenbogenfarbenen Palette. Mit dem limited omniscient Narrator schließt sich der Kreis und du als Autor hast nun das ganze Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung.
Moment mal, Kreis?
Ja, in der Tat!
Wir kommen nun zu dem Punkt, warum Meiner Einer das ganze „Ringtheorie der Erzählhaltungen“ nennt.
Wenn man sich die Erzählhaltungen als eine Skala vorstellt bei der sich die Stimmen der Erzähler von einer objektiven Mitte zu beiden Seiten immer mehr ins Subjektivere verschiebt, dann kommt man zu der Frage, was am Ende der Skala geschieht.
Das lernt ihr beim nächsten Mal, dann nämlich, wenn wir meine liebste Erzählhaltung einnehmen, die, bei der Figur, Erzähler und Autor miteinander verschmolzen sind.
Das geht doch gar nicht?!
Werdet ihr ja sehen


 

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