Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 5 |
In der Erzählhaltung des First Person omniscient sind
Erzähler und Figur miteinander verschmolzen, d.h. die Figur erzählt dem Leser
ihre eigene Geschichte, daher ist kein Wechsel des Perspektivträgers möglich.
Der Unterschied zum First Person limited ist der, dass dieser Ich-Erzähler aus der Retrospektive heraus erzählt, d.h. er berichtet von Ereignissen, die bereits geschehen sind, weiß also um den Ausgang und das Schicksal aller beteiligter Figuren. (Kein Präsenz und keine Tagebuchform mehr möglich).Dies macht ihn zu einem Allwissenden Erzähler (= „omniscient“). Der Unterschied zum "richtigen" Allwissenden Erzähler ist der, dass die Ich-Figur über sich selbst berichtet, während der Allwissende Erzähler über jemand anderen spricht. Und so ganz „allwissend“ ist dieser Ich-Erzähler auch nicht, er kann nur von Ereignissen berichten, bei denen er selbst anwesend gewesen ist oder von denen er im Nachhinein erfahren hat, das bedeutet, er kennt nicht die Gefühle oder Gedanken anderer Figuren, es sei denn er hat später davon erfahren: „Meine Frau erzählte mir im Nachhinein, dass sie nie stolzer auf mich gewesen ist, als in jenem Moment …“ „Die Polizei berichtete am nächsten Tag, mein Angreifer hatte eine Axt benutzt, um in mein Büro einzudringen …“ o.ä.
Autor
Erzähler/Figur --> Leser
Der Unterschied zum First Person limited ist der, dass dieser Ich-Erzähler aus der Retrospektive heraus erzählt, d.h. er berichtet von Ereignissen, die bereits geschehen sind, weiß also um den Ausgang und das Schicksal aller beteiligter Figuren. (Kein Präsenz und keine Tagebuchform mehr möglich).Dies macht ihn zu einem Allwissenden Erzähler (= „omniscient“). Der Unterschied zum "richtigen" Allwissenden Erzähler ist der, dass die Ich-Figur über sich selbst berichtet, während der Allwissende Erzähler über jemand anderen spricht. Und so ganz „allwissend“ ist dieser Ich-Erzähler auch nicht, er kann nur von Ereignissen berichten, bei denen er selbst anwesend gewesen ist oder von denen er im Nachhinein erfahren hat, das bedeutet, er kennt nicht die Gefühle oder Gedanken anderer Figuren, es sei denn er hat später davon erfahren: „Meine Frau erzählte mir im Nachhinein, dass sie nie stolzer auf mich gewesen ist, als in jenem Moment …“ „Die Polizei berichtete am nächsten Tag, mein Angreifer hatte eine Axt benutzt, um in mein Büro einzudringen …“ o.ä.
Dieser Ich-Erzähler weiß also schon alles, was passiert ist
(und kann folglich nicht tot sein am Ende der Geschichte) und berichtet uns nun
von seinen Erlebnissen. Dabei präsentiert er uns diese auf eine Art und Weise,
die wir ansprechend finden sollen, d.h. er wählt aus, was er wann erzählt, verschweigt
Details oder hebt sie für später auf. Ein richtig geschickter Geschichtenerzähler eben.
Das kann dann so klingen:
Donna Tardt:
Die geheime Geschichte
"Der Schnee in den Bergen schmolz schon, und Bunny war seit
ein paar Wochen tot, ehe uns der Ernst unserer Lage allmählich dämmerte. Er war
zehn Tagen tot gewesen, als sie ihn gefunden hatten, wissen Sie. Es war eine
der größten Suchaktionen nach einem Vermissten in der Geschichte Vermonts –
Staatspolizei, FBI, sogar ein Hubschrauber der Army; das College geschlossen,
die Färberei in Hampden dichtgemacht; Leute, die aus Hampshire, aus dem Staat
New York, sogar noch aus Boston herbeikamen.
Es ist schwer zu glauben, dass Henrys bescheidener Plan
diesen unvorhergesehenen Ereignissen zum Trotz so gut funktionierte. Wir hatten
nicht die Absicht gehabt, die Leiche an einem unauffindbaren Ort zu verstecken.
Genau genommen hatten wir sie überhaupt nicht versteckt, sondern einfach
liegengelassen, wo sie hingefallen war, in der Hoffnung, dass irgendein Passant
das Pech haben würde, über sie zu stolpern, ehe irgendjemand überhaupt gemerkt
hatte, dass Bunny verschwunden war. […]
Mein Name ist Richard Papen. Ich bin 28 Jahre alt, und ich
hatte New England oder Hampden College nie gesehen, bis ich neunzehn war."
Dieser Ich-Erzähler sagt uns gleich im ersten Satz, was
passiert ist: Bunny ist tot und er ist der Mörder. Nicht nur das, er verrät uns
auch, dass ein gewisser Henry den Plan dazu hatte, und wie und wo sie die
Leiche hinterlassen haben. Was ist das denn für ein Krimi, so kann man doch keine Spannung aufbauen?!
Kann man doch, denn die Spannung dieses Romanes bezieht sich nunmal nicht aus der Frage, wer der Mörder war oder wie die Tat verübt wurde.
Nein, es geht dem Leser viel mehr um die Frage, wie es überhaupt dazu kommen
konnte. Dies ist ein sehr geschickter Aufbau und zeigt, woraus Geschichten in
der First Person omniscient Erzählhaltung häufig ihre Spannung hernehmen: Durch
geschickte Vorwegnahme von Ereignissen, durch Andeutungen und Kommentare, wie
sie nur ein „omniscient“ machen kann(„Hätte
ich damals schon gewusst, dass …“).
Um eine Geschichte auf diese Art und Weise aufzubauen, ist
es notwendig, sich als Autor Gedanken darüber zu machen, wo die Figur sich
(zeitlich) befindet, wenn sie ihre Geschichte erzählt. Im Falle von Richard
Papen sitzt dieser mitnichten als ergrauter Großvater im Kreise seiner Lieben
in einem Schaukelstuhl, sondern ist vielmehr ein junger Mann von 28 Jahren,
der von Ereignissen berichtet, die begonnen haben, als er 19 Jahre alt war und
zum erstenmal das Hampden College betrat. Dies hat selbstverständlich
Auswirkungen auf die „Voice“ des Ich-Erzählers und darauf, wie er selbst die
Ereignisse bewertet (mit 28 sicherlich anders als mit 70) oder was für einen
emotionalen Abstand er jetzt zu ihnen hat (die Tat ist nicht einmal zehn Jahre her).
Desweiteren kann der Autor sich Gedanken machen, wem und
warum die Ich-Figur von ihren Erlebnissen berichtet.
Wie in dem Beispiel von
Brandon Sanderson:
Oh, ich weiß, was man sich über mich erzählt. Man nennt mich
Okulator Dramatus, Held, Retter der Zwölf Königreiche … Aber das sind nur
Geschichten. Einige davon sind übertrieben, viele sind glatte lügen. Die
Wahrheit ist wesentlich weniger beeindruckend.
Als Mr Bagsworth das erste Mal auf mich zukam und mir
vorschlug, meine Autobiographie zu schreiben, zögerte ich. Bald wurde mir
jedoch klar, dass dies die bestmögliche Gelegenheit für mich war, der
Öffentlichkeit zu erklären, wie ich wirklich bin. […]
Mir ist durchaus bewusst, dass ich mir in beiden Welten
Feinde machen werde, indem ich dieses Buch schreibe. Die Leute mögen es eben
nicht, wenn man ihnen aufzeigt, dass die Dinge nicht so sind, wie sie es immer
geglaubt haben.
Aber genau das muss ich tun. Dies ist meine Geschichte – die Geschichte eines egoistischen, verachtenswerten Idioten.
Aber genau das muss ich tun. Dies ist meine Geschichte – die Geschichte eines egoistischen, verachtenswerten Idioten.
Die Geschichte eines Feiglings.“
Hier schreibt jemand also seine Autobiographie. Weil er angeblich von
einem gewissen Mr Bagsworth darum gebeten wurde. Er nennt auch einen Grund: er möchte
den Leuten aufzeigen, wie es wirklich gewesen ist; dass er kein Held sei, wie
alle glauben, sondern ein Feigling und Idiot.
Wollen wir weiterlesen? Wollen wir wissen, was passiert ist?
Ja, das wollen wir, wir wollen der Sache auf den Grund gehen und von der Figur selbst hören, was geschehen ist.
Der First Person omniscient hat die größte Sogwirkung auf
den Leser, bietet aber nicht unbedingt die größte Identifikation mit der Figur,
denn wir lauschen hier jemandem, der mitunter grauenvolle Taten begangen oder sehr abweichende Moralvorstellungen von der
unseren hat. Wir identifizieren uns nicht mit der Figur, aber wir wollen ihre Beichte hören. Wie bei einem Autounfall: Wir wissen, dass die
Katastrophe passieren wird, aber wir sind nicht in der Lage, wegzugucken.
Manchmal kann aber auch die Frage, wo und wann die Figur
sich befindet, als sie erzählt, zu einem wichtigen Element werden, wenn die
Erzählung in eine Rahmenhandlung eingebettet ist, zu der die Leser am Schluß
der Geschichte zurückkehren.
Ein gutes Beispiel ist hier die berühmte Kurzgeschichte „Das schwatzhafte Herz“ von Edgar Allen Poe:
In Folgenden berichtet man uns von einem Mord. Der Leser erfährt erst ganz am Ende: Der Erzähler ist bereits verhaftet und befindet sich bei einem Verhör in Polizeigewahrsam.
Ein geschickter Kunstgriff, Mr Poe.
Ringtheorie der Erzählhaltungen Teil 5 |
Der First Person omniscient macht es also notwendig, dass man sich einige Gedanken über seine Erzählerfigur macht. Nicht nur, dass sie eine ausgeprägte eigene Ausdrucksweise (Voice) haben sollte, sondern auch, dass man sich bewusst ist, wann wo und warum die Figur berichtet, was sie auslässt und beschönigt, wo sie ehrlich gegenüber dem Leser ist oder nicht. Viele dieser Erzähler entpuppen sich am Ende auch als „unreliable Narrators“; Geschichten in dieser Erzählform haben häufig viele Twists (überraschende Wendungen), offene oder nicht ganz geklärte Enden, fragmentarische oder traumhafte Sequenzen und einen ironischen oder humoristischen Ton.
Und Deiner Einer hat es vermutlich schon gemerkt: Hier ist die Figur der Star der Show und steht häufig mehr im Vordergrund als der Plot.
Zusammenfassung: „First Person omniscient“
-
Subjektiv aus der Sicht der Figur erzählt. „Ich“
-
keine Außenansicht auf die Figur.
-
Erzähler und Figur sind miteinander verschmolzen; die
Figur erzählt selbst ihre eigene Geschichte als Retrospektive und
wertet/kommentiert viel.
-
Wie, wann, wo, wem und warum erzählt die Figur?
-
Darf Leser direkt ansprechen, Ereignisse vorausnehmen.
-
Ist oft ein Unreliable Narrator: fragmentarisches
erzählen, Auslassungen, Lügen ect.
-
Ist frei in Zeit und Raum; aber muss belegen woher
Kenntnisse über Ereignisse hat, bei denen er nicht selber anwesend war
-
Kein Wechsel zu einem anderen Perspektivträger möglich!
-
„Voice“ der
Erzählerfigur steht im Vordergrund.
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