oder: Mündlicher Sprachgebrauch |
Pfote aufs Herz: Wer hat die Hausaufgaben vom letzten Mal gemacht? Keiner? Ts...
Hättest du sie gemacht, und den Abschnitt aus „Die Tribute von Panem“ in die Vergangenheitsform des epischen Präteritums gesetzt, dann würde das Ergebnis so lauten:
„Vor
Prims Knien hockte der hässlichste Kater der Welt und hielt Wache. Eingedrückte
Nase, ein halbes Ohr weg, Augen von der Farbe eines fauligen Kürbisses. Prim
hatte ihn Butterblume genannt, sie beharrte darauf, dass das schlammgelbe Fell
exakt so aussah wie die leuchtende Blume. Der Kater hasste mich. Misstraute mir
zumindest. Obwohl es Jahre her war, erinnerte er sich bestimmt immer noch
daran, wie ich versucht hatte, ihn in einem Kübel zu ertränken, als Prim ihn
mit nach Hause gebracht hatte. Ein mageres Kätzchen, den Bauch voller Würmer,
das Fell ein Tummelplatz für Flöhe. Das Letzte, was ich damals hatte gebrauchen
können, war ein weiteres Maul gewesen, das gefüttert werden wollte. Doch Prim
hatte so lange gebettelt und geweint, dass wir ihn einfach hatten behalten
müssen. Es war gut gegangen. Meine Mutter hatte ihn von den Parasiten befreit
und er war der geborene Mäusejäger. Fing gelegentlich sogar eine Ratte. Manchmal,
wenn ich Wild ausnahm, warf ich Butterblume die Innereien hin. Dafür fauchte er
mich nicht mehr an.“
Und?
Klingt ein wenig doof an manchen Stellen, oder?
Deswegen rät das Literaturkaninchen dir, es nicht so stehen zu lassen.
Wie? Das Kaninchen hat doch gesagt, so sei das richtig und wenn man im Präteritum schreibt, dann muss man alles Vorvergangene ins Plusquamperfekt setzen. Und das haddu gemacht.
Ja, schon. Aber Deiner Einer vergisst etwas dabei.
Nämlich, dass wir es bei „Die Tribute von Panem“ mit einem Ich-Erzähler zu tun haben.
Und ein Ich-Erzähler hat eine eigene Stimme, sie ist wie eine Figur, die uns in ihrer eigenen Sprache mit all ihren Eigenarten und Besonderheiten ihre Geschichte erzählt. Und ist daher viel dichter an der gesprochenen Sprache dran, als ein anderer Erzähler.
Klingt ein wenig doof an manchen Stellen, oder?
Deswegen rät das Literaturkaninchen dir, es nicht so stehen zu lassen.
Wie? Das Kaninchen hat doch gesagt, so sei das richtig und wenn man im Präteritum schreibt, dann muss man alles Vorvergangene ins Plusquamperfekt setzen. Und das haddu gemacht.
Ja, schon. Aber Deiner Einer vergisst etwas dabei.
Nämlich, dass wir es bei „Die Tribute von Panem“ mit einem Ich-Erzähler zu tun haben.
Und ein Ich-Erzähler hat eine eigene Stimme, sie ist wie eine Figur, die uns in ihrer eigenen Sprache mit all ihren Eigenarten und Besonderheiten ihre Geschichte erzählt. Und ist daher viel dichter an der gesprochenen Sprache dran, als ein anderer Erzähler.
Ein Ich darf also eine Zeit
verwenden, die grammatikalisch evtl. falsch ist, die aber besser klingt.
So würde ich den oberen Abschnitt,
wenn man ihn ins epische Präteritum, also in die Vergangenheitsform als
Standarterzählzeit versetzen will, so schreiben:
„Vor
Prims Knien hockte der hässlichste Kater der Welt und hielt Wache. Eingedrückte
Nase, ein halbes Ohr weg, Augen von der Farbe eines fauligen Kürbisses. Prim
hatte ihn Butterblume genannt, sie beharrte darauf, dass das schlammgelbe Fell
exakt so aussah wie die leuchtende Blume. Der Kater hasste mich. Misstraute mir
zumindest. Obwohl es Jahre her war, erinnerte er sich bestimmt immer noch
daran, wie ich versucht hatte, ihn in einem Kübel zu ertränken, als Prim ihn
mit nach Hause brachte. Ein mageres Kätzchen,
den Bauch voller Würmer, das Fell ein Tummelplatz für Flöhe. Das Letzte, was
ich damals brauchen konnte, war ein weiteres Maul, das
gefüttert werden wollte. Doch Prim hatte so lange gebettelt und geweint,
dass wir ihn einfach behalten mussten. Es ging gut. Meine Mutter hatte ihn von den Parasiten
befreit und er war der geborene Mäusejäger. Fing gelegentlich sogar eine Ratte.
Manchmal, wenn ich Wild ausnahm, warf ich Butterblume die Innereien hin. Dafür
fauchte er mich nicht mehr an.“
Was habe ich gemacht? Ich habe es
der ursprünglichen Version stellenweise wieder angeglichen, die das Perfekt verwendet.
Warum? Weil wir Deutschen im mündlichen Sprachgebrauch oft lieber das Perfekt
verwenden, auch wenn das Plusquamperfekt angebracht wäre. Wir Deutschen finden
nämlich unsere eigene Sprache ziemlich umständlich. Was dazu führt, dass wir
sie im mündlichen Sprachgebrauch nicht mehr grammatikalisch korrekt verwenden.
Und deine Figuren auch nicht.
Das bedeutet, dass deine Figuren in der direkten Rede (in Dialogen) das Perfekt verwenden sollten, selbst wenn die Erzählung im
(epischen) Präteritum geschrieben ist.
Und alle Ich-Erzähler auch. (Einschließlich des Omniscient Overt Narrators!)
Die Verwendung der Zeitformen ist nämlich ein wichtiges Werkzeug um die Stimme eines Erzählers zu modulieren und ihm Persönlichkeit zu verleihen.
Das könnte dann nämlich zum Beispiel so klingen:
Und deine Figuren auch nicht.
Das bedeutet, dass deine Figuren in der direkten Rede (in Dialogen) das Perfekt verwenden sollten, selbst wenn die Erzählung im
(epischen) Präteritum geschrieben ist.
Und alle Ich-Erzähler auch. (Einschließlich des Omniscient Overt Narrators!)
Die Verwendung der Zeitformen ist nämlich ein wichtiges Werkzeug um die Stimme eines Erzählers zu modulieren und ihm Persönlichkeit zu verleihen.
Das könnte dann nämlich zum Beispiel so klingen:
„Meine Großmutter hat immer zu mir
gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen. Und da
sieht man, wie ein Mensch sich verändern kann. Weil heute bin ich die Ruhe in
Person. Und müsste schon etwas Besonderes passieren, dass ich mich noch einmal
aufrege. Die Zeiten sind vorbei, wo mich alles gleich aus der Fassung gebracht
hat. Hör zu, warum soll jedes Blutbad mein persönliches Bier sein? An und für
sich sage ich da schon lange, sollen sich die Jungen drum kümmern, quasi Credo.
[…] Für ein Kind kann das auch nicht gut sein, immer Hin und her, und ich
glaube, die Tochter vom Kressdorf hat die Autobahn schon für ihr Spielzimmer
gehalten. Aber ich muss zugeben, das ist einmal ein nettes Kind gewesen. Nicht
wie heute die Kinder allgemein, also kein bitte, kein Danke, kein Grüssgott.
[…] Jetzt weil ich gerade sage Säuglingsstation. Die Frau vom Kressdorf ist
Ärztin gewesen, die hat ihr eigenes Institut gehabt, eine kleine Etagenklinik
im 1. Bezirk.“
In diesem kurzen Abschnitt purzeln
die Zeiten munter durcheinander, gerade so, wie dem Erzähler die Schnauze
gewachsen ist. Und das ist auch gut so.
Noch einmal zusammengefasst:Das Präteritum ist die natürliche Erzählzeit (Stichwort: Episches Präteritum). Rückblenden werden ins Plusquamperfekt gesetzt, aus dem der Autor sich in einer längeren Rückblende nach ein paar Sätzen ins Präteritum zurückmogelt, um das sperrige "hatte" zu vermeiden. Die Figuren verwenden in der wörtlichen Rede Präsens und Perfekt.
YA und Thriller werden heutzutage
häufig im Präsens geschrieben, was den Effekt hat, dass die Leser sich „live
dabei“ fühlen. Rückblenden werden ins Perfekt gesetzt, kein Mogeln notwendig.
Ereignisse, die noch länger in der Vergangenheit liegen, können dann grammatikalisch korrekt im Plusquamperfekt wiedergegeben werden, was den Vorteil hat, dass man eine Vor-Vorvergangenheit darstellen kann.
Figuren verwenden in Dialogen ebenfalls Präsens und Perfekt.
Figuren verwenden in Dialogen ebenfalls Präsens und Perfekt.
Ich-Erzähler verwenden Grammatik,
die näher am mündlichen Sprachgebrauch liegt.
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