"Ein Roman ist wie ein Kaleidoskop - bestehend aus immer wiederkehrenden Mustern." |
Im Roman kann man das Ende und den Beginn einer Szene nicht immer ganz so deutlich markieren und es gibt unterschiedliche Definitionen, was eine Szene ausmacht und wo der Unterschied zu erzählerischen Passagen liegt.
Für uns ist das aber im Moment erst einmal nicht von Interesse, wir wollen uns eine Szene unter einem anderen Aspekt angucken, nämlich unter ihrer Struktur die ebenfalls einen Anfang, Mittelteil und Schluß hat.
Oder anders ausgedrückt:
Ein Ziel – einen Konflikt – gefolgt von einem Desaster, denn "wie im Großen so im Kleinen".
Während also deine Hauptfigur in jedes Kapitel mit einem Ziel hineingeht, dabei auf Hindernisse stößt und bei dem Versuch, sie zu überwinden, scheitert, ist das bei einer Szene ganz genau so.
Das Kapitel beginnt also mit der ersten Szene, in der Romeo sich auf den Weg macht, seine Julia vor ihrem Haus abzufangen. Das ist das Ziel. Doch dabei stößt er auf Schwierigkeiten. Die Reifen an seinem schicken Moped sind von irgendwelchen Klappskallis durchstochen worden, er muss zum Bus rennen, kommt zu spät (und völlig verschwitzt und außer Atem) an Julias Haus an und sieht gerade noch, wie diese in ihrem neuen Cabrio mit offenem Verdeck davonbraust.
Romeo hat sie verpasst, sein Vorhaben ist gescheitert. Desaster.
Was nun?
Nun kommt etwas, das Dwight V. Swain in seinem Buch „Techniques of the selling writer“ als „Sequenz“ bezeichnet. Während eine Szene dem Muster Ziel-Konflikt-Desaster folgt, besteht eine Sequenz aus Reaktion-Dilemma-Entscheidung.
Romeo blickt dem knallroten Cabrio von Julia hinterher und bleibt stocksteif stehen. Sein Herz setzt für einen Moment aus und er klappt den Mund auf, weil er ihr hinterher rufen will. Doch er bekommt kein Wort heraus. Nun, denkt er, ist alles verloren.
Denn auf die emotionale Reaktion folgt das Nachdenken. Der Verstand springt wieder an, und rasend schnell geht Romeo seine Möglichkeiten durch. Ohne sein Moped kann er es unmöglich schaffen, vor ihr am Flughafen zu sein. Aufgeben? Aber dann sieht er sie vielleicht nie wieder. Ihren Ex-Freund anrufen und ihn um ihre Telefonnummer bitten? Aber ihr Ex-Freund ist auch sein bester Freund und wenn er ihn um die Telefonnummer bittet, dann könnte das die Freundschaft kosten.
Beim Flughafen anrufen und behaupten, er hätte eine Bombe im Flieger nach Australien platziert?
Dafür wird er vermutlich verhaftet werden.
Romeo steckt in einem Dilemma, die Wahl, die er hat, ist eine schlechte Wahl, es scheint keinen guten Ausweg aus seiner Situation zu geben.
Aber etwas muss er machen.
Und so trifft er eine Entscheidung.
Welche Entscheidung dein Charakter auch trifft, lass es eine gute Entscheidung sein. Lass es eine Entscheidung sein, die dein Leser respektieren kann. Lass sie riskant sein, wahnsinnig, verrückt, mutig, romantisch, aber lass sie eine Chance haben zu funktionieren. Mach das und dein Leser wird umblättern und begierig weiterlesen, denn dein Charakter hat jetzt ein neues Ziel.
Und da trifft sich wieder der Kreis.
Neues Ziel, neuer Konflikt, erneutes Desaster (Szene). Gefolgt von einer Reaktion, erneutem Dilemma, und einer Entscheidung (Sequenz).
Neues Ziel, neuer Konflikt, erneutes Desaster (Szene). Gefolgt von einer Reaktion, erneutem Dilemma, und einer Entscheidung (Sequenz).
So reihen sich abwechselnd Szenen und Sequenzen aneinander,
in einem immer wiederkehrenden Muster, wie Perlen an einer Schnur:
Ziel-Konflikt-Desaster-Reaktion-Dilemma-Entscheidung-Ziel-Konflikt-Desaster …
Wie viel Raum die einzelnen Bausteine einnehmen, liegt an
dir und deiner Geschichte. So wird in einem actionlastigen Abenteuerroman die
Szene mehr Platz in Anspruch nehmen und die Sequenz eher kurz sein.
Während die emotionale Reaktion auf ein Desaster bei dem toughen Actionhelden
so knapp wie ein einziger Satz ausfällt ("Shit happens!"), wird diese in einem psychologischen
Roman vielleicht mehrere Seiten füllen.
Und Deiner Einer hat es vielleicht
schon gemerkt, aber die Kapitel eines Romanes folgen oft ebenfalls dem Schema
aus
Ziel-Konflikt-Desaster
Das Formulieren eines Zieles für eine Figur, der Versuch dieses zu erreichen und das Scheitern dabei, markiert oft den Inhalt eines ganzen Kapitels. Das darauf folgende Kapitel dann handelt davon, dass der emotional angeschlagene Held seine Wunden leckt, seine Möglichkeiten überdenkt und dann eine Entscheidung trifft, die ihn mit einem Ziel ins nächste Kapitel aufbrechen lässt.
Und wenn das Kaninchen dir
nun sagt, dass diese Struktur von der großen Ebene des ganzen Romanes, über
deren Kapitel und Szenen bis hin zu dessen kleinsten Einheit sich immer weiter
wiederholt, wie bei einem Kaleidoskop, dann wird dir vielleicht ein bisschen
schwindelig. So wie dir schwindelig wird, wenn du das Bild da oben betrachtest. Wenn das so ist, dann halt
dich man lieber fest, denn das Kaninchen erzählt dir nun, dass sich dieses
Muster auf der allerkleinsten Ebene ebenfalls finden lässt.
Und die allerkleinste Ebene
eine Romanes ist? Richtig … ein Paragraph. Oder, anders ausgedrückt ein Satz.Nicht überzeugt? Dann komme wieder, wenn es heißt
Und wer das Thema vertiefen will, dem empfiehlt Meiner Einer folgende Lektüre:
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