Donnerstag, 4. Oktober 2012

Schuster, bleib bei deinen Leisten nicht

Schreib über das, was du kennst“, hat Meiner Einer nun schon in vielen Schreibratgebern gelesen.
Und sich darüber gewundert.
Zunächst einmal erscheint das wie ein guter Tipp. Denn nur über das, was ich wirklich kenne und erlebt habe, die Orte, an denen ich gewesen bin, die Personen, die ich kennengelernt habe und die Tragödien, die ich durchlebt habe, kann ich aufrichtig, detailliert und emotional schreiben.
Autor wird hier also aufgefordert, über sich selbst, seine eigenen Erlebnisse, Gedanken und Umgebung zu schreiben und dabei sich selbst zu erforschen und seine Beobachtungsgabe zu schulen (Innen wie Außen, sagt mein Freund Buddah.)

Nun fragt sich Meiner Einer aber, was es denn ist, das er kennt.
Möhrchen kenne ich, die kann ich gut beschreiben, die sind lecker, meinen gemütlichen Kaninchenbau mit der Bibliothek und Weiber.
Außerdem kenne ich mich in der Fellpflege aus, da könnte ich einige Tipps geben.
Wie wäre es also mit einem Ratgeber für Pelzträger: „Fussel, Plüsch & Filzknoten - 1000 Tipps für mehr Flauschigkeit„ ?
Zugegeben, das hat Potential. Ich seh` schon den Megaseller vor mir, das Buch wird alle Rekorde auf dem Sachbuchmarkt brechen. Aber sowas von.
Ich werde reich werden, und das nur, weil ich mich auf das besonnen habe, was ich kann und womit ich mich auskenne.
Danke also, an diesen unbekannten Ratgeber-Verfasser.

Aber was ist, wenn ich kein Sachbuchautor werden will?
Wenn ich (trotz der Millionen, die da winken) keine Lust habe, ein Pelzbuch zu schreiben?
Wenn ich doch eigentlich lieber einen Agenten-Spionage-Action-Thriller mit Zombie-Grusel-Schocker-Elementen verfassen will, der die Weiber zum Kreischen bringt?
Leider sind das aber alles Dinge, von denen ich keine Ahnung habe. Meine Bewerbung für das Ausbildungstraining beim CIA wurde abgelehnt und in meinem Freundeskreis ist nicht ein einziger Zombie, keiner einer nicht.
Heißt das dann, ich darf meinen Roman nicht schreiben, weil ich all das nicht persönlich kenne?
Pah!
Ich habe genug Action-Agenten-Spionage-Thriller geguckt, um mir was zusammenzureimen, und obendrauf werde ich jetzt noch ein paar mehr lesen und mir Notizen machen und Details klauen. So!
Außerdem lade ich demnächst mal einen Zombie auf ein Bierchen ein, und befrag` ihn so zu seinen Befindlichkeiten, was er heute gegessen hat und wie sein Leben als Zombie ganz allgemein so ist.
Mit anderen Worten: Das, was ich nicht kenne, lerne ich kennen.
(Manche Leute nennen das auch „Recherche“.)

Und jetzt kommt`s: Während ich mich also in die Materie, über die ich schreiben will, einarbeite und an meiner Romanhandlung meines Demnächst- Bestsellers puzzele, lasse ich hier und da etwas aus meinem eigenen Leben einfließen. Eine Begegnung, eine Person, ein Ereignis.
Ich mache meinen Protagonisten zum Pelzhändler.
Ich lasse ihn in vielen Szenen sich der Fellpflege widmen und streue auch gleich ein paar Tips für den geneigten Leser ein. (Schwefel und Talkum im Sandbad läßt Chinchillafell schön glänzen.)
Der Antagonist knabbert Möhrchen und eine Liebesgeschichte kommt auch dazu, denn schließlich kenne ich mich ja aus mit den Weibern.
Mit anderen Worten: Das Genie, das ich bin, schreibt über das, was er kennt (über sich) und über das, was er schreiben möchte. Er recherchiert, wo er Wissenslücken hat und füllt den Rest mit Phantasie.
Jawohl.
Phantasie hat der Herr Autor nämlich auch.
Und bei meiner Sauftour mit dem Zombie ist der Herr Autor nebenbei an ganz viele interessante neue Orte gekommen und hat Dinge gesehen und erlebt, die seine Phantasie beflügelt haben. Aber sowas von.

Daher sage ich euch:
Schreibt ruhig über das, was ihr kennt, aber bitte lernt auch was Neues kennen. Kommt mal raus aus eurem Kaninchenbau und stürzt euch ins Abenteuer.
Schlagt eine Wunde und empfangt eine.

Denn: „Man muß verwundet und verstört sein, damit einem die wirklich guten, röntgenstrahlengleich durchdringenden Worte einfallen.
Aldous Huxley – Schöne neue Welt

In diesem Sinne eine schöne neue Woche wünscht euch der Sedamens. 


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