Quelle: Pexels |
Der Inciting Incident
(auch Catalyst genannt) ist ein Ereignis, der das Leben des Protagonisten auf
den Kopf, ihn vor eine Herausforderung oder Bedrohung stellt, oder der ihm eine
Chance bietet. Von da an verfolgt der Protagonist ein Ziel (das WANT), und um es zu
erreichen, muss er alle Hürden überwinden und sich dem Antagonist (oder der
antagonistischen Kraft, wie z.B. einer Naturkatastrophe) entgegenstellen, bis
zum Ende der Geschichte, wo im Showdown die Hauptfigur ihr Ziel entweder
erreicht, aufgibt oder verliert. Dies ist die äußere Handlung der Geschichte,
der Plot.
Was ist Plot und wie plottet man einen Roman?
Im Inneren führt die
Hauptfigur aber noch einen anderen Kampf: Die Hauptfigur trägt einen Makel oder
ein Bedürfnis, eine Wunde oder ein Trauma in sich; etwas fehlt ihr, ein
kritischer oder essentieller Teil, um sie selbst sein zu können. Die Handlung
der Geschichte, der Weg, den die Figur einschlagen muss, gibt dem Protagonisten
eine Chance, diese Lücke in ihrer Persönlichkeit zu füllen und zu ihrem wahren
Selbst zu werden (NEED).
Was ist das NEED der Hauptfigur?
Die meisten Autoren
starten mit einer ziemlich genauen Vorstellung, wer ihre Hauptfigur ist, wie
sie denkt und fühlt, und wie sie in verschiedenen Situationen reagieren wird.
Der Fehler, den Anfänger-Autoren häufig machen, ist aber, dass sie es
versäumen, ihre Figuren mit Situationen zu konfrontieren, die diese zwingen
schwere Entscheidungen zu treffen. Die Taten der Figur machen diese für den
Leser lebendig und definieren, wer er ist. „Sympathische“ Figuren, in die der
Leser sich hineinversetzen kann, tragen die Handlung nur, wenn sie den
Hauptkonflikt verkörpern.
Zum Beispiel leidet Rocky im gleichnamigen Film an einem
mangelnden Selbstwertgefühl. Er verachtet das Leben, das er führt, und hasst
sich selbst. Als er die Chance bekommt, gegen den Box-Champion Apollo Creed anzutreten, trainiert er
hart und kämpft einen verbissenen Kampf. Aber er verliert dennoch nach Punkten.
Zwar wird Rocky nicht Champion — aber die Zuschauer feiern ihn wie einen
Helden, weil er der Erste ist, der 15 Runden gegen Apollo durchgestanden hat.
In dem Moment erfüllt sich Rockys Bedürfnis nach Selbst-Respekt. Er ist nicht
länger ein unbedeutender Niemand (und kann seine Liebe Adrian für sich
gewinnen).
Am Anfang einer
Geschichte kennt nur der Autor das unterbewusste Bedürfnis (NEED) der Hauptfigur. Wenn
es soweit ist, kann der Autor dem Leser das Bedürfnis enthüllen, oder er lässt
es verschleiert. Selten wird sich jedoch die Figur ihrer wahren Motivation
bewusst. Wenn, dann kann dies nur am Ende der Geschichte geschehen, denn sobald die Figur sich dessen bewusst wird, würde sie ihr Ziel fahren lassen und dieses als
neues Ziel verfolgen. Wird das Bedürfnis zu schnell erfüllt und die Leere in
der Hauptfigur gestillt, so haben wir eine zufriedene Hauptfigur, die keine
weiteren Ziele mehr verfolgen wird, und nicht versuchen wird, über sich selbst
hinauszuwachsen. Diesen Fehler sehe ich häufig bei Liebesromanmanuskripten, in
denen die Liebenden zu schnell
zueinanderfinden, sich ihr Herz ausschütten, so dass ihre Sehnsucht bereits
gestillt ist.
Deswegen hängen Plot +
Hauptfigur untrennbar zusammen: Der Autor entwirft eine Geschichte, die die
Hauptfigur zwingt, sich ihren eigenen Dämonen zu stellen, er stellt sie vor
Herausforderungen, die sie über sich selbst hinauswachsen lassen, und gibt ihr
die Chance, die Leere in sich zu erkennen und zu füllen.
Dies ist die Wandlung,
die die Hauptfigur durchmachen muss.
Natürlich ist dies vom Genre
abhängig: Es gibt Geschichten und Genres, die ohne Charakterwandlung auskommen.
In Action/Abenteuer/Thrillern braucht es selten ein unterbewusstes Motiv für die
Taten des Helden, dieser handelt im Namen der Gerechtigkeit so wie James Bond.
Beim Actionhelden ist die Welt aus den Fugen geraten und nur der Held kann sie
retten. Solche Geschichten nennen wir „plot-driven“.
plot-driven vs. charakter-driven
Eine plot-driven Story
definiert sich an dem äußeren Ziel, und die Motivation dahinter ist es, der Welt
etwas zurückzugeben, was ihr fehlt oder genommen wurde: Frieden, Gerechtigkeit,
Überleben ect. In rein charakter-driven
Stories dagegen kämpft der Held darum, die Leere in sich selbst zu füllen:
Liebe, Vertrauen, Hoffnung, Erwachsenwerden ect.
Plot und Charakter können
nicht voneinander getrennt werden. Die Ereignisse in der Geschichte entstehen
aus den Taten, Entscheidungen und Reaktionen der Hauptfigur. Die Hauptfigur
wurde ausgesucht (oder erschaffen), weil sie auf bestimmte Ereignisse in einer bestimmten
Art und Weise reagieren wird. Ändert man die Ereignisse, muss man die Figur
ändern und umgekehrt.
Der größte Unterschied
zwischen plot-driven und charakter-driven ist aber nicht das
Genre, sondern die Frage, welche Kraft hinter den Ereignissen in den beiden großen
Wendepunkten steht. In plot-driven
Stories werden die Wendepunkte, vor allem im ersten Act (der Inciting Incident
und der Break in Act II) von Kräften außerhalb der Kontrolle der Hauptfigur
ausgelöst. Kriminelle begehen Straftaten, Diktatoren deklarieren Krieg, Monster
greifen an, ein Komet rast auf die Erde zu ... In charakter-driven Stories werden die Ereignisse in den Wendepunkten
des ersten Aktes durch den Protagonisten selber ausgelöst: Er verliebt sich,
begeht eine Straftat, verrät seinen Auftraggeber, verlässt seine Frau, glaubt
jemandes Lüge, sucht nach der Wahrheit ect.
(Allerdings ist dies nicht immer ganz so klar definierbar, manchmal können Ereignisse miteinander gemixt werden. Eine Geschichte kann zu gleichen Teilen charakter+plot-driven sein, aber meistens neigt sich die Balance in eine Richtung.)
(Allerdings ist dies nicht immer ganz so klar definierbar, manchmal können Ereignisse miteinander gemixt werden. Eine Geschichte kann zu gleichen Teilen charakter+plot-driven sein, aber meistens neigt sich die Balance in eine Richtung.)
Letztendlich kommt es
darauf an, was der Autor erzählen will: Verfasser von charakter-driven Stories wollen das innere Bedürfnis der Hauptfigur
ausloten und die Figur auf die Probe stellen, um sie am Ende ihre Dämonen
besiegen und zu einem besseren Selbst werden zu lassen (oder auch nicht). Und
für diese Überwindung und Erfüllung ihrer Selbst lieben wir die Figuren. Wir
lieben es, eine Figur zu sehen, die allen Widerständen zum Trotz nicht aufgibt,
über sich hinauswächst und zu einem besseren, glücklicheren Menschen wird.
Daher glauben wir, diese Figuren besser zu kennen, als unsere besten Freunde
und schließen sie oft über Jahre in unsere Herzen. Auch oder gerade weil sie
nicht perfekt sind, weil sie einen Fehler, einen Makel oder eine dunkle Seite
haben. Die sympathischste Person kann dennoch illoyal sein, ein Lügner,
Feigling, Egoist oder Schwächling sein. Wir verzeihen solche Makel, denn wir
finden sie in uns selbst wieder.
Die Hintergrundgeschichte
Wenn das wahre Gesicht einer Figur zum Vorschein kommt, braucht es eine Erklärung, warum diese Figur so geworden ist. Was hat sie zu einem Lügner gemacht, warum kann sie niemandem vertrauen? Der Autor sollte eine Hintergrundgeschichte entwerfen, die das dahinterliegende Ereignis erklärt, er sollte die Kränkung kennen, die das Verhalten der Figur beeinflusst. Hintergrundgeschichten interessieren uns, wir wollen wissen, wo jemand herkommt, was er bisher erlebt hat. Nicht umsonst ist das das Erste, was wir fragen, wenn wir jemanden kennenlernen: Wo bist du aufgewachsen/ zur Schule gegangen? Was machen deine Eltern beruflich? In welchen Ländern warst du schon? Die Vergangenheit definiert uns.
Manche Autoren schreiben
richtige Biographien für ihre Hauptfigur, oder sie stellen ihrer Figur Fragen,
wie in einem Interview. Das Interview hat den Vorteil, dass die Figur in ihren
eigenen Worten Antworten muss, und so schon einmal ihre Sicht der Dinge und
ihre sprachlichen Eigenarten zutage treten, sowie Dinge, die ihr vielleicht
unangenehm sind. Daher ist es besser, eine Figurenbiographie nicht in der 3.
Person zu verfassen, sondern lieber die Figur selbst zu Wort kommen zu lassen.
So trainiert der Autor schon einmal die „Stimme“ der Figur, bekommt Einblick in
ihre Gedanken.
Hintergrundgeschichten
helfen uns zu verstehen, warum eine Figur so handelt, wie sie es tut. Oft
reagiert jemand aus einem Trauma heraus, der frühe Tod der Eltern oder eines
geliebten Menschen z.B. Aber dies sollte nicht übertrieben werden —Fingerspitzengefühl
und psychologische Einsicht sind
gefragt. Oft dichten Autoren ihrer Hauptfigur eine Missbrauchsgeschichte in der
Kindheit an, um sie zerbrochen und gequält darstellen zu können. Doch das ist
zu einem so häufigen Klischee geworden, dass man es vermeiden sollte. Es
braucht häufig gar nicht so traumatische Ereignisse: Wie im echten Leben werden
wir durch viele kleine, scheinbar nebensächliche Kränkungen oder Niederlagen
geprägt. Angst vor Nähe kann entstehen, wenn jemand sitzengelassen wurde,
jemand wurde vielleicht zynisch, weil ihm häufig Ungerechtigkeiten widerfahren
sind.
Viele Anfänger-Autoren
begehen den Fehler, alles was sie in der Hintergrundgeschichte erfunden haben,
auch dem Leser erzählen zu wollen, so dass sie diese Szenen durch Traumsequenzen,
Flashbacks oder Monologe in die Handlung einschieben. Dabei ist es besser, nur
anzudeuten, was in der Vergangenheit des Charakters geschehen sein mag. Die
Hauptfigur charakterisiert sich durch ihre Taten. Es erzeugt Spannung,
Ereignisse in der Vergangenheit nur anzudeuten. Je mehr Mysterium die
Hintergrundgeschichte bleibt, umso neugieriger bleibt der Leser auf die Figur
(das gilt ganz besonders für Seriencharaktere). Jedoch kann ein kleiner
Einblick zur rechten Zeit am rechten Ort enorme Wirkung haben. Wenn die
Hauptfigur große Entscheidungen treffen muss (vor allem am Break in Act I und Break inAct II), oder über seine Lage nachgrübelt (Debate, Dark night of the soul) kann ein guter Moment sein, etwas aus der Vergangenheit der Figur zu
enthüllen.
Hintergrundgeschichten
können übrigens verändert und angepasst werden, wenn während des Schreibens
einem auffällt, dass etwas Bestimmtes fehlt. Man muss nicht chronologisch
vorgehen, und das Leben der Hauptfigur seit seiner Geburt an aufschreiben.
3-dimensionale Charaktere
Das ist es, was wir meinen, wenn wir von einem 3-dimensionalen Charakter sprechen:
-
Nach außen
stellt die Figur eine Persönlichkeit dar, durch das was sie ist (Beruf,
sozialer Status ect.) und wie sie sich gibt (Kleidung, Manierismen, Bildung).
Dies ist die nach außen getragene Fassade, die einen erklärten Ziel folgt
(WANT).
- Darunter
lauert das Unterbewusste Bedürfnis (NEED), das dem erklärten Ziel im Wege
steht, und die Figur anders handeln lässt, als sie sollte.
-
Zu guter Letzt
kommt die Wunde oder Makel dazu: Eine dunkle Seite oder schlechte Angewohnheit.
Die Figur hat vielleicht gelernt, sich nur mit Gewalt durchzusetzen oder im
Gegenteil, sich alles gefallen zu lassen.
Diese unterschiedlichen
Dimensionen stehen im Kontrast zueinander, sie verhindern und bekämpfen sich
und das macht den Charakter so faszinierend.
Darüber sprechen wir beim
nächsten Mal: Motivation und das Problem mit passiven Protagonisten
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen