Das Gesetz der Serie: Teil 4 |
Serien basieren häufig auf einer wiederkehrenden Hauptfigur,
einer Einzelperson, um die sich alles dreht (und nach der die Serie häufig
benannt ist). Manchmal bestehen die Serien- Hauptfiguren auch aus einem
zusammengehörigen Paar oder einem Team. Damit es nicht langweilig wird, muss
eine Serie sich weiterentwickeln, aber es kann schwierig werden, eine
wiederkehrende Figur in einer Serie frisch zu erhalten. In Wahrheit lieben die
Leser nämlich die Hauptfigur, und kommen nur wegen ihr zum nächsten und
übernächsten Band zurück, und sie wollen gar nicht, dass die Figur sich allzu
sehr verändert, sie erwarten, dass sie dieselbe Person im nächsten Band wiedertreffen,
die sie kennen und lieben gelernt haben. Zu große Entwicklungen werden einem
übelgenommen. Andererseits wird es langweilig, wenn die Figur sich nicht
weiterentwickelt. Es wäre auch unlogisch, wenn die Figur aus dem zuvor Erlebten
keine Änderungen mitnimmt, keine Lehren zieht, oder sich nicht zurückerinnert. Die
Ereignisse der vorangegangenen Bände werden zu der Hintergrundgeschichte des
Charakters und müssen diesen beeinflussen.
Wie entwickle ich also einen Seriencharakter?
Zunächst einmal genauso wie jeden anderen Romancharakter
auch: du brauchst eine Figur mit einem Ziel. Drehbuchautoren sprechen auch von
einem want und need des Hauptcharakters. In einer Detektivgeschichte mag das Ziel (want)
der Hauptfigur sein, den Mörder zu entlarven, aber sein innerer Antrieb (need) dafür
ist sein Wunsch nach Gerechtigkeit.
Zusätzlich braucht ein Seriencharakter noch ein paar mehr
Überlegungen. Schließlich soll er der Held über eine ganze Reihe von Bänden
werden und wird den Leser über einen langen Zeitraum und durch viele Abenteuer
begleiten. In der Figur müssen multiple Konflikte als Möglichkeiten eingebaut
sein, so dass die Figur im Laufe des Serienspannungsbogens wachsen kann.
Der Schlüssel dazu ist ein zusätzliches Charakterziel, dass nicht einfach zu
erreichen ist. (Auch Batman wünscht sich Gerechtigkeit für Gotham City, aber
die Korruption, die bis in die höchsten Kreise hineingeht, macht es ihm
unmöglich, dieses Ziel durch Ergreifen eines einzelnen Schurken zu erreichen.)
Es gibt also häufig ein einfaches Ziel in jedem Band (den Mörder dieser Episode
finden), sowie ein langanhaltendes, Serien-überspannendes Ziel der Hauptfigur.
Natürlich gibt es Serienhelden, die nie eine Wandlung
durchmachen, wie z.B. James Bond. Dies ist der „statische“ Actionheld, der aus
jedem Fall als Sieger hervorgeht und sich nie etwas zu Schulden kommen lässt
oder an seinen Entscheidungen verzweifelt. Erst die neueren Verfilmungen haben
Bond Wachstum und eine Wandlung zugestanden.
Auch andere Serienhelden, wie z.B. Hercule Poirot oder Miss
Marple, sind Vertreter der „statischen“ Helden. Doch diese Art der Serienhelden
sind nicht mehr zeitgemäß, moderne Leser/Zuschauer wünschen sich einen Helden,
der an seinen Taten wachsen (oder verzweifeln) muss.
In Detektivserien wie CSI durchlaufen die Helden ihre
Wandlung oft in Nebenplots: Sie meistern jeden Fall souverän, aber in ihrem
Privatleben geht es drunter und drüber, oder sie werden suspendiert oder
bekommen die lang ersehnte Beförderung nicht und müssen sich mit einem neuen
Kollegen herumschlagen … Viele Krimiautoren setzen auf das Privatleben ihrer
Figuren, das eine detaillierte Ausarbeitung erhält, um den Leser an ihre Serie
zu binden, wie z.B. das des Kommissars Brunetti aus Donna Leons
„Venedig“-Serie, in der Scheidungen, Töchter und italienisches Essen eine große
Rolle spielen. Dieser „Seifenopern“-Charakter vieler Figuren ist es, der die
Leser immer neue Fälle des kauzigen Kommissars lesen lässt, denn sie wollen
nicht nur wissen, wie Brunetti den nächsten Fall löst, sondern auch, wie es in
seinem Privatleben weitergeht – und was es leckeres zu Essen gibt.
Kenne das Ziel und das „Need“ deiner Serien-Hauptfigur. So
wie jede Hauptfigur braucht auch eine Serien-Hauptfigur ein Ziel pro Roman.
Es lohnt sich, schon früh über den Serienspannungsbogen und
die Wandlung, die die Hauptfigur am Ende des Serie und eines jeden Bandes
durchmachen soll (oder auch nicht) nachzudenken. Serien leben von dem unterschwelligen Gefühl eines übergeordneten
Zwecks und einer Richtung, die die Handlung (und die Hauptfigur) anstrebt.
In einer Detektivgeschichte z.B. weiß man, dass das Ziel der
Hauptfigur normalerweise die Aufklärung eines Verbrechens ist. Im Krimi-Genre
(und teilweise im Thriller) wird die Hauptfigur zu einem großen Teil durch ihren
Beruf oder ihre Ehre angetrieben. Aber häufig braucht es einen zusätzlichen
Anreiz, wie eine persönliche Rache,
eine Dame in Not, Geldsorgen oder winkende Beförderungen, um die Hauptfigur glaubhaft bei der Stange
zu halten, wenn die Schwierigkeiten sich auftürmen.
Zusätzliche Motivation einer Serien-Hauptfigur kann
entspringen aus:
-
Zeitdruck: Tickende Bomben, entführte
Opfer oder Wettrennen können die Hauptfigur unter Druck setzen und zwingen, am
Ball zu bleiben. Alles, was ein Zeitlimit implementiert, ist gut, um Spannung
aufzubauen
-
Hintergrundgeschichten: Motivation kann
aus dem persönlichen Hintergrund der Hauptfigur entspringen, dem oft ein Trauma
oder eine Verletzung zugrunde liegt.
-
Druck aus dem Umfeld: Das soziale Umfeld
der Hauptfigur, wie Freunde, Familie, Kollegen und Liebhaber können zusätzliche
Probleme und Motivation schaffen. Damit man auch in späteren Bänden noch aus
dem Vollen schöpfen kann, sollte von Anfang an ein reichliches soziales Umfeld
entworfen werden.
Der Hauptfigur ein
persönliches Problem zu geben, ein Ziel, das er neben dem Hauptkonflikt
verfolgt, kann ihn für den Leser sympathisch und dreidimensional erscheinen
lassen. Aber das besondere Ziel oder Dilemma des Protagonisten muss
sorgfältig ausgewählt werden, denn jeder Konflikt, der im ersten Roman
eingeführt wurde, muss in den folgenden Bänden weitergeführt werden. Daher
sollte das persönliche Ziel zum Thema der Serie passen, eigentlich bestimmt es
sogar den Ton und die Atmosphäre. So kann der Wunsch nach Rache der ganzen
Serie einen düsteren Ton verleihen, während die Suche nach der wahren Liebe
eher zu einer hoffnungsvolleren Atmosphäre passt. Auch wenn die Leser das Thema nicht genau
benennen können: Mit dem ersten Band wird eine Frage gestellt, die erst im
letzten Band beantwortet werden wird. Wird er seine wahre Liebe finden oder
nicht? Wird er Rache üben und Gerechtigkeit erfahren? Diese Frage ist es, neben
der tollen Handlung der einzelnen Bände und der sympathischen Hauptfigur, die
die Leser zurückkommen lässt. Sie können nicht aufhören zu lesen, bis diese
Frage nicht beantwortet wurde — und das Schicksal der Hauptfigur besiegelt.
Ein neues, temporales Problem in jedem Band, wie z.B. eine
bevorstehende Scheidung, kann dem Charakter Tiefe verleihen, aber nach dem
dritten Buch könnte es ausgelutscht wirken und den Leser langweilen, wenn der
Konflikt nicht integraler Bestandteil der Handlung ist und sich ganz natürlich
aus der Persönlichkeit des Charakters ergibt (z.B.: die Scheidung droht, weil
der Held Alkoholiker ist. Er muss seine Alkoholsucht überwinden, um seine Ehe
zu retten.) Ein Serienheld braucht also eine Ehepartnerin, Alkoholprobleme,
einen rostigen Impala, eine Kriegsverletzung, Narben aus den Ereignissen des
letzten Bandes, ein Haus mit Geheimkeller, einen Bruder bei den Freimaurern,
ein Faible fürs Stricken und einen Hund.
Oder?
Zu viele Macken und Charakter-Ticks und der Held wirkt
unnatürlich und überladen — zu wenige und er kann die Handlung nicht über
mehrere Bände hinweg tragen. Eine geliebte Rostlaube könnte von einem Running
Gag zum Hauptgegenstand eines Falls werden, der Hund zu einem Partner und die
Kriegsverletzung zu einem Problem. Doch aufgepasst: Einmal eingeführt müssen
die Macken und Charaktereigenschaften weitergeführt werden und allzu heftige
Probleme wie Alkoholsucht können nicht einfach so verschwinden, nur weil der
Autor mit einem Mal keine Lust mehr darauf hat. Ist der Held Alkoholiker, so
muss er es bleiben, und trotz Reha sein Leben lang damit kämpfen, auch wenn die
Serie lieber einen geläuterten Helden bräuchte.
Das Gleiche gilt für Nebenfiguren: Man kann sie nicht
einfach verschwinden lassen, nur weil es einem besser in den Kram passt, wie
die Ehefrau und den Bruder bei den Freimaurern. Man ist als Autor festgenagelt
auf die Elemente, die man bereits eingeführt hat.
Aber: Wohlausgewählt bieten all diese Hintergrunddetails
Stoff für viele, viele Geschichten. Als Serienautor hat man die Gelegenheit,
die Hintergrundgeschichten und Nebenfiguren auszuführen, man kann ganze
Abenteuer um Details um das Leben der Figur ranken lassen, wie z.B. seinem Haus
mit Geheimkeller und wer diesen erbaut hat. Die Phantasie eines Serienautors
trägt ihn dorthin, wo Autoren von Einzelromanen vielleicht Andeutungen gemacht
haben, aber nie den Platz hatten, zu Ende zu erzählen. Beim Entwickeln und
einführen von Nebencharakteren sollte schon einmal bedacht werden, auf welche
Art und Weise diese Nebenfigur in zukünftigen Bänden eine Rolle spielen können.
Leser lieben Geheimnisse rund um Figuren
und erst recht rund um die Hauptfigur. Eine Serie eignet sich wunderbar dafür,
den Leser neugierig auf die Hintergrundgeschichte der Hauptfigur werden zu
lassen und erst nach und nach Einzelheiten ans Licht kommen zu lassen.
Ehemalige Arbeitgeber, Ex-Geliebte, Schulden, Feinde: Plötzlich auftauchende
Figuren aus der Vergangenheit können für Überraschungen sorgen!
Spannung ist in jedem Genre wichtig, nicht nur im Krimi-und
Thriller. Sogar im Liebesroman fiebert der Leser mit bei der Frage „Kriege sie sich oder kriegen sie sich
nicht?“. Die Hauptfigur sollte vor große Schwierigkeiten bei der Verfolgung
ihres Zieles gestellt werden, denn je
mehr die Hauptfigur herausgefordert wird, desto mehr fiebern wir ihr beim Erreichen
ihres Zieles mit. Herausforderungen lassen die Handlung steigen und fallen,
z.B. wenn die Liebenden durch Umstände räumlich voneinander getrennt werden,
lesen wir fieberhaft weiter, weil wir wissen wollen, wie die Liebenden diese
Schwierigkeit überwinden und ob sie wieder zueinander finden. Schwierige
Herausforderungen zeigen, aus welchem Holz die Hauptfigur geschnitzt ist. Wie
sie unter Druck reagiert, zeigt ihr wahres Gesicht und gibt ihr Gelegenheit,
als Held zu agieren. Die zentrale
Serien-Idee sollte daher zu deiner Hauptfigur passen und ihr multiple
Möglichkeiten bieten, sich zu beweisen.
Auch der Antagonist sollte der Hauptfigur gewachsen sein. Ob
jeder Band der Serie einen neuen Fiesling einführt, oder die Hauptfigur über
eine Reihe von Bänden gegen denselben Bösewicht antritt: Stets sollte der
Antagonist eine echte Herausforderung sein und das bedrohen, was der Hauptfigur
am wichtigsten ist. Je größer die Gefahr, umso mehr auf dem Spiel steht, desto
motivierter wird die Hauptfigur am Ball bleiben.
Auch über unzählige Serien-Bände hinweg.
Natürlich kann sich das Ziel einer Hauptfigur im Laufe einer
Serie auch ändern. Große Wendepunkte in einer laufenden Serie halten die
Handlung in Schwung, so können Hauptfiguren sich verlieben, heiraten, Kinder kriegen,
sich scheiden lassen und wieder neu verlieben. Große Wendungen können neue
Charakter-Motivationen erwirken, wie z.B. : Neue Beziehungen zu anderen
Figuren, ein plötzlicher Verlust oder ein Gewinn, einen Umschwung oder Aufstieg
in der Karriere, mysteriöse Entdeckungen oder Auflösung eines Geheimnisses …
Mehr noch als der Einzelroman- Held lebt die Serien-Figur
von stets neuen Wendungen.
Das alles gilt natürlich auch, wenn die Serie mehr als eine
Hauptfigur hat, oder die Handlung sich um multiple Figuren dreht, die alle
ihren eigenen Spannungsbogen und eigene Entwicklungen durchmachen, wofür sie
natürlich eigene Konflikte, Ziele, Träume und Hintergrundgeschichten benötigen.
Mehr noch als im Einzelroman muss der Serienautor sich Gedanken über alle seine
Figuren machen. Um den Überblick nicht zu verlieren, ist es ratsam, sich eine Serienbibel anzulegen, in
der man alle Details, Hintergrundwissen und geplante Wendungen notiert, aber
auch, was man bereits in welchem Band enthüllt hat, was feststeht und wo man
eventuelle noch Freiheit hat, Änderungen vorzunehmen. Denn die besten Ideen
kommen beim Schreiben.
Hier geht es weiter mit das Gesetz der Serie Teil 5: Wie handhabt man Hintergrundgeschichten in Serien?